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Selbstverflachung

Morgens ein frisches und lebendiges Gefühl in den Kampf werfen, die Schwierigkeiten des Tages besiegen und dadurch noch mehr Energie haben als vorher – das nennt sich Selbststeigerung. Selbstverflachung betreibt dagegen der Sofasitzer, der als Sitzsack jede Anstrengung meidet und manchmal versuchsweise aus dem Fenster schaut.

Selbstverflachung bedeutet ein Abfließen von Energie und Lebenslust durch planloses Herumsitzen. Wer lange im Bett liegen bleibt, sich nach dem Aufstehen ein paar Baustellen in der Nachbarschaft anschaut, um dann vorzeitig nach Hause zu kommen, erlebt in sich eine Selbstverminderung. Die vorhandene Lebendigkeit schwindet dabei im Quadrat, fängt man mit ihr nichts an.

Selbstversandung ergibt sich aber nicht nur durch einen Mangel an Verausgabung im Moment, sondern auch durch die Anlage der Persönlichkeit. Bestimmte seelische Möbel sorgen nämlich für den beständigen, unbemerkten Abfluss von Lebenskraft. Eines dieser Möbel ist die Ansammlung alter, ausgelaugter, nicht mehr aktiver Lebensinteressen, die sich als Sediment zäh erhalten.

Im Laufe des Lebens verlieren sich Interessen und es bleibt oft nur die schlaffe Leidenschaft der Daseinsvorsorge. Ein Interesse wie etwa an der Kunst kann sich oft nicht halten, bleibt aber auf niedriger Schwundstufe als Sammlung abgelaufener Fahrscheine erhalten. Was einmal war und als leere Hülle noch da ist, wirkt dabei wie eine Senke, in die Lebenskraft verschwindet.

Freunde und Bekannte kann man ab einem bestimmten Punkt einfach vergessen und so tun, als hätte es sie nicht gegeben. Dieses Verhalten ist stillos, nicht aber gebührenpflichtig. Die eigenen Interessen hingegen aus den Augen zu verlieren und keine neuen mehr auszubilden, kostet Kraft. Denn die Ausdünnung des Bestandes an Inventar der Seele setzt eine langsame Spirale der Selbstverkleinerung in Gang.

Die Architektur der Seele besitzt im Mangel an Interessen, die nicht fromm kommerziell sind, keine Infrastruktur, durch die sie eine Verlustkraft erfahren kann. Verlustkraft heißt soviel, durch rücksichtsloses Verausgaben von Kraft eben diese Lebensenergie noch zu steigern. Verlust und nachfolgend gestärkte Lebensintensität sind also aufeinander bezogen. Ein echtes Interesse, das über allen Geldunsauberkeiten steht, betreibt diese Ökonomie von Verlust und Gewinn. Fehlt es aber an Möglichkeiten des Verlustvortrages, weil keine Quelle des Verlustes da ist, also kein Interesse, kommt es zur Selbstverflachung.

Sebastian Knöpker