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Sprezzatura

Sprezzatura heißt Leichtigkeit des eigentlich Anstrengenden. Der Modena-Essig im Salat, der elegant alles von süß bis sauer zur richtigen Zeit schmecken lässt, besitzt diese Leichtigkeit. Branntweinessig dagegen malocht im Essen, keucht und schuftet so sehr, dass es anstrengend wirkt.

Sprezzatura kann so wie beim Ballett rein auf Außenwirkung berechnet sein. Die Tänzer wirken dabei federleicht und ätherisch, fühlen aber eine ächzende Überforderung. Was an Leichtigkeit nach außen dringt, ist harte Arbeit, so dass die sprezzatura nicht sehr nobel ist.

Nobile sprezzatura findet sich dagegen in der bella negligenza des elegant und zugleich nachlässig gekleideten Mannes. Wer seinen Butler ein Jackett so lange tragen lässt, dass es kleine Risse und Gebrauchsspuren hat, kann es dann auch selbst anziehen. Denn die Kombination von teurer und stilvoller Kleidung mit schief aufgekrempelten Ärmeln und kleinen Löchern im Stoff wirkt lässig.

Diese sprezzatura hat als Hauptzutat die Persönlichkeit, die durch die Kleidung zum Ausdruck kommt. Es ist nicht möglich, allein durch den Kleidungsstil allein Nonchalance zum Ausdruck zu bringen. Entscheidend ist die Haltung zum Leben, sich nicht durch den Alltag durchzuknechten.

Diese Einstellung beruht darauf, die Dinge mit einem deutlichen Überschuss an Kraft, Energie und Reserven anzugehen. Es ist sehr anstrengend, hat man gerade noch genug Kraft, um seine Arbeit zu erledigen. Das Anstrengungsgefühl kommt dabei wesentlich dadurch zustande, dass man sich am Limit bewegt.

Anders ist es z.B. spielt man Violine und geht dabei nicht an seine Grenze. Die unverbrauchten Reserven steigern dann das Gefühl der Leichtigkeit. Was an Überschuss da ist und gerade nicht genutzt wird, das bringt sich also als sprezzatura zum Ausdruck.

Genauer geht es um eine Kombination von Kraftverbrauch, Überschusswirtschaft an Lebenskraft und der darin steckenden Selbststeigerung. Diese Selbstpotenzierung beruht auf dem Verhältnis zur Lust am Violinespiel in Abhängigkeit zur eingebrachten Kraft und zu den Kraftreserven. Macht das Geigenspiel Spaß, strengt man sich dabei an. Hat man dabei immer das Gefühl, über mehr als genug an Reserven zu verfügen, sind wesentliche Faktoren der sprezzatura vereinigt.

Das Gegenteil dazu findet sich bei Menschen, die es sich gerne während der Arbeit möglichst sauer werden lassen, den ganzen Tag schaffen und schuften, um am Abend verbraucht und verdrossen am Küchentisch zu sitzen. Sie haben eine Vorliebe dafür, sich selbst auszupowern, um vor sich und anderen bestehen zu können.

Der Malocher mit Hang zum Dauerverdruss nutzt all seine Zeit und Kraft, um produktiv zu sein. Der Mensch der disinvoltura nutzt seine Elanreserven ganz anders: indem er sie gerade nicht ausreizt, wirken sie auf ihn als Leichtigkeitsbeschleuniger und als Faktor der Selbststeigerung. Die Produktivität der Lässigkeit spielt dabei in manchen Berufen eine entscheidende Rolle, beim Profimusiker etwa, wo sprezzatura unverhandelbare Voraussetzung ist.

Sebastian Knöpker