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Cockpitspray

Substanz ist keine Idee Platons. Sie ist kein Idealismus und steigt nicht von oben herab. Stattdessen ist Substanz eine leibliche Empfindung, wie das Cockpitspray zeigt. Im tiefsten Grund hat es etwas sehr Selbstsicheres: es lässt Substanz empfinden.

Sind die Plastikarmaturen aus Kunststoff im Cockpit ausgebleicht, braucht es Cockpitspray. Der ausgelaugte, spröde Kunststoff wird durch das Spray wieder matt glänzend und auf die richtige Art und Weise schwarz. Es vermittelt den Eindruck von Substanz, während das angegraute, versprödete Plastik Substanzlosigkeit empfinden lässt.

Die Masse bleibt dieselbe, aber der Mensch nimmt nicht nur Masse wahr, sondern wandelt sie in eine sinnliche Qualität, in die der Substanz, der Empfindung von Gehalt. Gehaltlosigkeit meint entsprechend nicht, dass etwas wenig wiegt, Hohlräume in sich hat oder porös ist. Gehalt ist überhaupt keine physikalische Qualität.

Substanz lässt sich nicht nur Sehen, also als Phantasie in das Sehen hineinbringen, sondern auch schmecken. Das ist bei der Suppe der Fall, die als substanziell (hoher Brennwert) oder substanzlos empfunden wird. Was an Kalorien in ihr drin ist, wird als Substanz geschmeckt. Das meint aber nicht die Masse der Suppe oder ihre Dichte, sondern eine unmittelbare sinnlich-leibliche Empfindung. Diese lässt sich auch nicht auf die Kalorien reduzieren, da sie diesen nur anzeigt. Sie hat einen epistemischen Gehalt, ist aber als Phänomen weit mehr als dieser.

Substanz wird oft vorgespielt: beim Tisch, der nur ein Furnier hat, beim Nullkalorientrunk, der nach viel Gehalt schmeckt oder auch beim Bodybuilder, dessen Muskeln Substanz versprechen. Die Substanzwahrnehmung als Apperzeption lässt sich also täuschen, wobei die Substanzempfindung als Phänomen immer ist, d.h. als Phänomen unzweifelbar vorhanden ist, nur eben in seiner auch mitgegebenen Aussage falsch ist.

Cockpitspray betreibt diese Substanztäuschung, indem die Oberfläche aufgemöbelt wird, so dass das ganze Auto „wie neu“ wirkt. Es verändert die Oberfläche physikalisch, um in der Wahrnehmung des Menschen eine Phantasie von Substanz anzuregen. Deswegen ist auch der Ausdruck „Cockpitspray“ hoffnungslos pompös und ironisch aufgeladen. Denn nicht die Substanzverleihung ist die Aufgabe des Sprays, sondern die Anregung einer Substanzphantasie.

Sebastian Knöpker