Wer etwas erlebt, der spürt eben darin auch sich selbst. Das Selbstgefühl färbt alles Erleben mit sich ein, doch bleicht es aus, dann erleidet auch das schönste und größte Erlebnis ein kleines Minuszeichen. Die Sichselbigkeit braucht also eine besondere Zuwendung.
Die Gleichung Ich = Ich geht immer auf, aber das Gefühl aus ihr ist nicht immer dasselbe. Es erschlafft leicht und braucht ein probates Stärkungsmittel. Eine gesuchte Selbststärkung besteht darin, durch immer wieder wechselnde Teilfiguren des Ich sich mit sich zu identifizieren.
Das kann so wie bei Karl Marx aussehen, indem man morgens Jäger ist, nachmittags Fischer und abends Intellektueller. Die unterschiedlichen Figuren aus dem Ichkreis ergeben dabei immer dieselbe Person, dieselbe Identität. Ich bin Ich, wenn ich Jäger, Vater, Bruder oder Fischer bin und gewinne darin an Selbstkräftigung.
Ich bin mehr ich selbst, wenn ich mich mit mir aufgrund wild wechselnder Aspekte meines Selbst mit mir identifiziere. Umgekehrt versacke ich tendenziell in mir selbst, identifiziere ich mich immer über dieselben Eigenschaften. Es ist also nicht leicht, ein erfolgreicher Mensch zu sein, der von den anderen und von sich immer über seinen Erfolg bestimmt wird. Zwar ist diese Art der Anerkennung erfreulich, aber durch den Mangel an Abwechslung entzieht sie dem Selbstgefühl Kraft.
Besser ist es, viele unterschiedliche Figuren des Selbst zu leben, von denen keine einzige etwas Besonderes sein muss, aber durch den Wechsel der Eigenschaft, durch die man mit sich selbst identisch wird, erzielt man eine hohe Dividende. Dieser Gewinn hängt auch damit zusammen, bei jedem Rollenwechsel Teile des Subjektes auszustoßen. Man erspart sich so die lästige Verdrängung, da man beim Wechsel der Persona unbequemes Material des Ichselbstseins oft ohne Anstrengung loswird.
Anschaulich wird das Verhältnis von Identität zu Identifizierung auch beim jahrelangen Wohnen in ein- und derselben Stadt. Die Heimatstadt wird fad und langweilig, eben weil sie sich kaum je verändert und dieselbe bleibt. Das Problem ist aber nicht die relative Beharrung der Stadt in der Zeit, sondern der mangelnde Wechsel der Identitätsbildung aufgrund verschiedener Teilaspekte.
Heidelberg kann so eine sehr langweilige Stadt werden, doch gehe ich einmal um sie herum – was Tage braucht – so kommt durch die neuen Ansichten auf die Stadt auch wieder Leben in die Identität von Heidelberg. Weil durch neue Perspektiven auf das Alte die Identität aufgrund neuer Teilaspekte gesetzt wird, erhält sie auch neuen Elan. Das gilt für die Stadt, die Ehefrau, das eigene Selbst – es gilt für alles, das zu einer stabilen Identität neigt.
Sebastian Knöpker