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Die Angststätte KZ als Ort des Glücks

In jedem Unglück gibt es Glückseinsprengsel und lichte Momente. Nur im Konzentrationslager ist jede Form von Glück ausgeschlossen. Das galt lange Zeit, bis ein KZ-Opfer von seiner Glücksfähigkeit im Vernichtungslager schrieb.

Ja, davon, vom Glück der Konzentrationslager, müsste ich ihnen erzählen, das nächste Mal, wenn sie mich fragen.“ schreibt Imre Kertész in Roman eines Schicksalslosen. Das Paradox, von dem Kertész spricht kennt man von der Freiheit, die man oft in völliger Unfreiheit erlebt. Gerade in Unterdrückung und Entrechtung zeigt sich die Freiheit leicht und macht einen Sprung vom bloßen Begriff ins Leben.

Nun gilt es aber schon als politisch unkorrekt, Unfreiheit und Freiheit zusammen zu bringen. Umso mehr verstößt es gegen ungeschriebene Regeln, von Glück im KZ zu sprechen. Da Kertész aber wiederum Opfer der Nationalsozialisten gewesen ist, darf er ganz frei darüber sprechen. Mit seinen Schilderungen aus der Sicht eines Fünfzehnjährigen führt er die Holocaustindustrie gekonnt vor.

Aber in das Thema selbst kommt er dann doch nicht so recht hinein. Er streift es nur mit Sätzen wie: „Ich hatte das einfache Geheimnis der mir gegebenen Welt begriffen: überall und jederzeit erschießbar zu sein.“ Deutlicher wird Dietrich Bonhoeffer, der in einem Untersuchungsgefängnis der Gestapo einsaß und in den letzten Kriegstagen erschossen wurde. In diesem Gefängnis konnte er keinen Besuch empfangen. Er durfte keinen Gürtel tragen und musste um jeden persönlichen Gegenstand in der Zelle einen zermürbenden Kampf führen. Er hatte keine Hoffnung auf einen geregelten Prozess oder auf eine Freilassung und musste bei Fliegeralarm in seiner Zelle bleiben, während die Wärter in den Bunker gingen. Beim täglichen Rundgang heftete sich zudem ein in Ungnade gefallener nationalsozialistischer Propagandaredner an seine Fersen, der um Trost und Verständnis warb, aber auch immer wieder in seine alte Rolle als Judenhasser zurückfiel.

Dietrich Bonhoeffers Horizonte waren also sehr beschränkt. Im Großen, da er damit rechnen musste erschossen zu werden, wie auch im ganz Kleinen, so darin, dass manchmal die Wärter morgens das Licht in seiner Zelle nicht anschalteten, so dass er nicht lesen konnte. Im Wegbrechen aller Horizonte stellte sich bei Bonhoeffer eine Gelassenheit ein, die so groß war, dass er nicht lügen musste, wenn er seinen Eltern schrieb, dass es ihm gut ginge.

Allerdings unternahm er keinen Versuch, diese Gelassenheit seinen Eltern zu erklären, da sie ihnen zu unglaublich klingen musste. Bonhoeffer hätte sehr gute Gründe gehabt, sich als ungerecht behandelt zu fühlen und in Angst und Schrecken zu leben. Stattdessen gelingt es ihm, eine Gelassenheit zu entwickeln, die keine einfache innere Ruhe war, sondern ein Ablassen von jeder Beunruhigung überhaupt, da seine Lage so schlecht war, dass er sich auf keinen Horizont mehr stützen konnte.

Das Glück für Bonhoeffer bestand in der Entdeckung, dass im Zusammenbruch aller Möglichkeiten und Horizonte das Leben sich sein eigener Inhalt werden kann. Die Grundidee ist einfach zu verstehen: normalerweise sind wir im Alltag Konsumenten. Wir brauchen etwas, das uns unterhält, damit wir uns lebendig fühlen können. Wir müssen etwas machen, erledigen, lesen, hören oder sehen, damit wir uns darin erleben. Bonhoeffer hatte aber keinen solchen Horizont und machte die Entdeckung, dass er statt Konsument zu sein, Produzent ist. Jeder Mensch ist sich die Quelle seiner Lebendigkeit. Was an Leben da ist, muss normalerweise über die Teilhabe an der Welt und ihren Ereignissen umgesetzt werden. Gelingt das nicht, bleibt nur Langeweile.

Allerdings hat das Leben auch die großzügige Eigenschaft, sich selbst sein Inhalt, seine Fülle und sein Glück zu werden, wenn jeder Erlebnishorizont fest verschlossen ist. Die Bedingung hierfür ist eine perfekte Hoffnungslosigkeit, darin perfekt, nicht doch noch zu hoffen oder gar zu verbittern und sich zu beklagen. Wird das Fehlen jeder Möglichkeit zur positiven Veränderung angenommen, so kann sich die Lebendigkeit im Menschen als Fülle zeigen. Das wird oft im Schweigen angestrebt, wo aus einer Leere Fülle und Freude werden soll. Schweigt man erfolgreich, dann ist man sich sein eigener Produzent. Man ist sich sein eigener Inhalt. In existenziell aufs Äußerste zugespitzten Situationen wird dieselbe Umkehrung der Ordnung von Produzent und Konsument erlebt. Bonhoeffer ist der Zeuge dieses unverhofften Glücks.

Sebastian Knöpker