Die Philosophie ist ereignisarm. Damit aber doch ab und an etwa geschieht, hat man philosophische Konferenzen erfunden. Dabei handelt es sich um Festivals der diskreten Denkstörungen. Klassisches Einschlafdenken regiert, doch kommt es auch zu inoffiziellen Ereignissen von Bedeutung.
Philosophische Konferenzen sind Inhalten gegenüber ganz gleichgültig gegenüber eingestellt. Die Vorträge sind in der Regel semantisch neutral gehalten und beschäftigen sich oft nur mit der Herkunftsverästelung einer Idee. Es geht also um die Geschichte eines Gedankens (Wer hatte ihn zuerst? Wer hat ihn weitergedacht? Wer hat ihn umgedeutet?), nicht aber um Wert und Bedeutung einer Theorie. Scheiden die Inhalte damit aus, bleiben noch einige Attraktionen. Zu ihnen zählt das Hochgefühl der Müdigkeit.
Eine Konferenz erzeugt einen Infosmog. Man sitzt dann mit Anstrengung im Kopf da und wird müde. Diese Müdigkeit ist aber für den Konferenzprofi nicht das Zeichen, sich hinzulegen und einzuschlafen. Sie muss nur ausgehalten und dadurch durchschritten werden, um zur Euphorie der zweiten Luft zu kommen. Sitze also müde und mit schiefen Schultern im Auditorium, schlafe nicht ein und siehe: die alte Müdigkeit führt zu einem Hochgefühl.
So wie es eine Askese des Fastens gibt und der leere Magen nach einer Phase des Unbehagens eine Verdauungseuphorie entfaltet, so existiert auch eine Askese des Schlafentzuges. Sie bringt einen Wechsel von Hundemüdigkeit zu hocherfreutem Wachbewusstsein zustande, die einige Tage lang funktioniert, danach aber in Konfusion und überdrehter Schlaflosigkeit endet.
Dabei ist zu beachten, nicht schon müde in die Konferenz zu gehen, sondern die Müdigkeit erst durch den Schlauch des Konferierens aufzubauen. Wer mit einem Jetlag in die Konferenz startet, bringt eine falsche Müdigkeit mit, die bloß herunterzieht, nicht aber Hochgefühle hervorbringt.
Bei jeder philosophischen Konferenz kann auch die Ursünde am Werk sehen. Wechselwarme Milieumenschen krümmen und schleimen sich bei den Professoren ein, um die Karriereleiter aufzukriechen, die von einem warmen Platz zum anderen führt. Die Kriecher gehen dabei ohne jede Tarnung zu Werk und werden dafür belohnt. Das beruht auf der Erbsünde, dass die vorhergehende Generation der Professoren es ganz genauso gemacht hat und von der Vorgängergeneration erbte.
Einmal etabliert, setzt sich diese Wohlfahrt der Einschleimer mit drei Nasenlöchern fort und lässt sich nicht mehr revidieren. Für den unvoreingenommenen Beobachter ist das ein geschichtlicher Moment: man kann hier sehen, wie die Geschichte sich reproduziert und als Sediment des schlafenden Besitzes einen aktuellen Besitz hervorbringt.
Ansprechend angenehm bei einer Konferenz ist auch das Erlebnis des Denkens. Ein Redner, der aus sich heraus im Moment denkt verzaubert. Man mag es, einem Menschen beim Denken zuzuschauen. Das fängt bereits dort an, wo ein Philosoph sehr physisch bei der Rede wird. Slavoj Žižek ist ein gutes Beispiel, wie Jemand durch Schwitzen, Gestikulieren und Augenrollen das Erlebnis des Denkens für den Betrachter hervorbringt. Inhaltlich bringt Žižek den Ball zwar nicht ins Rollen, da es bei einem marxistischen Gulasch bleibt, mit tagespolitischen Kommentaren angereichert. Doch die Ereignishaftigkeit seiner Rede gilt.
Üblicherweise lesen die Vortragenden ihre Rede vom Papier ab. Das hat den Effekt, dass sie ihre eigene Rede nicht verstehen, da sie ja mit dem Vorlesen beschäftigt sind. Eigentlich könnte ein Schauspieler die Rede viel besser vortragen, flüssiger, eloquenter. Doch so wirkt der abgelesene Vortrag flach, da man Niemandem beim Denken zusieht. Der Zuhörer leidet in der Folge unter Selbstverflachung.
Zusammenfassend gilt: wer im Büro Spaß haben will, muss bekanntlich selbst dafür sorgen. Das trifft auch für die philosophische Konferenz zu, die ohne Definition, fast ohne Inhalte ist. Müdigkeit, Geschichtsbewusstsein und das Erlebnis namens Denken müssen also vom Beisitzer gebildet werden, damit doch noch etwas daraus wird. Man muss phänomenologisch produktiv sein und aus der reinen Konsumentenrolle herauskommen.
Sebastian Knöpker