Geistige Weite lässt sich nicht nur durch Ausdehnung der Grenzen erreichen, sondern auch durch geschickt angelegte Grenzunsauberkeiten. Dort, wo eigentlich der Geist schon aufhört, kann er durch das Anlegen von Peripherien doch einen Anschein von Weite erzeugen.
Das Prinzip ist einfach: wer keine Freunde hat, der kann doch all die Grußbekanntschaften, ehemalige Bekannte aus der Jugend und Facebook-Freunde zusammennehmen, um einen Haufen Befreundungen zu erzeugen. Da die Wahrnehmung einer Grenze wesentlich von der Ausdehnung der Grenze selbst bestimmt wird, scheint es dann so, dass man doch Freunde hat.
Glücklicherweise spielt es dabei keine Rolle, dass die Grenzfälle der Befreundungen alle auf der falschen Seite der Grenze stehen, also eben keine Freunde sind, da komplexe Situationen durch den menschlichen Geist apperzeptiv erfasst werden. Er macht sich nicht die Mühe, die einzelnen Posten zu addieren, sondern geht von der Summe aus, die dann vage in Einzelteile zerlegt werden. Dadurch ersparen wir uns im Alltag viel Mühe, da man ja keine Lust hat, alles abzuzählen, um dann daraus eine Bilanz zu machen.
So kommt es dazu, dass zehn kleine Besorgungen über den Tag verteilt als Summe empfunden werden, also als Beschäftigtsein mit wichtigen Dingen. Der Eindruck, stets sinnvolle Dinge zu tun, ergibt sich dabei aus dem Verfahren, gar nicht auf den Wert, die Wichtigkeit und die Mühe der einzelnen Besorgung zu achten. Die Aufdringlichkeit, mit der unterbeschäftige Menschen ihren hohen Stellenwert als Werktätige zelebrieren, ist so zu einem Teil zu erklären.
Die Wahrnehmung von der Summe her ermöglicht es, viele faule Einzelteile in dieser Summe zu verstecken, die als Fußsoldaten nicht weiter in ihren einzelnen Qualitäten beachtet werden. Entscheidend ist dabei, genau an der Grenze Grenzfälle zu häufen, die einen Grenzstreifen ergeben, also eine geistige Ausdehnung. Da diese wiederum in der Apperzeption als Weite aufgefasst wird, ist man nicht mehr so begrenzt wie vorher, so die unmittelbare Überzeugung. Wer Wert auf sorgsam ausgearbeitete Lebenslügen legt, kann sich daran stets halten.
Sebastian Knöpker