Wer Karriere machen will, muss zu Beginn der Laufbahn den Anschein erzeugen, keinem schaden zu können. Gefragt ist eine Harmlosigkeit, die vorübergehend wahr ist. Und wahr wird durch sie durch einen harmlosen Leib.
Harmlosigkeit braucht ein leibliches Unmöglichkeitsbewusstsein. Ich fühle, dass ich mich nicht selbst verletzen kann, und so fühle ich meine Harmlosigkeit mir selbst gegenüber. Da die Selbstverletzung oft ganz fern ist und nicht einmal als Denkmöglichkeit präsent ist, fühlen die wenigsten sich in dieser Hinsicht als harmlos.
Anders ausgedrückt: es gibt in ihnen keine grundsätzliche Möglichkeit (Selbstverletzung) und daher auch keine prinzipielle Unmöglichkeit (ich kann mich nicht verletzen). Daher hat ein normaler Mensch sich selbst als Opfer seiner selbst gegenüber kein Harmlosigkeitsbewusstsein.
Ein guter Klavierspieler, der blockiert und eingefroren vor dem Klavier sitzt, besitzt dagegen ein leibliches Möglichkeitsbewusstsein (ich kann grundsätzlich spielen), dazu aber ein Bewusstsein von Unmöglichkeit (ich kann jetzt nicht, will aber), sodass er auf Basis des Möglichen und Unmöglichen ein Unmöglichkeitsbewusstsein als ungewollte Harmlosigkeit verspürt.
Das Wissen um die eigene Unschädlichkeit kann aber auch angenehm sein, so beim Hund, der seinen Gegner besiegt und dennoch nicht mehr zubeißt, weil er einer Beißhemmung unterliegt. Seine Unfähigkeit zu schaden ist dabei Ausdrucksmittel seines Siegs: Indem er nicht zubeißt, wird der Sieg symbolisch besiegelt.
Hunde sind Wesen, die ihr Können und ihre Unfähigkeiten sehr stark leiblich präsent spüren. Selbst wenn sie nichts machen, erfahren sie in sich ihre Vermöglichung (dem Umfang dessen, was ihnen möglich ist). Zugleich sieht man vielen Hunden ihre Vermöglichung von außen an, was sie zu einem bevorzugten Objekt phänomenologischer Beobachtung macht und sie von Katzen unterscheidet, die nur manchmal lesbar sind.
Der Hund kann die Verleiblichung seiner Harmlosigkeit nicht gut von der Harmlosigkeit selbst trennen, während erwachsene Menschen gut Harmlosigkeit als vorübergehende Wahrheit manifestieren können. Vorläufig meint dabei, sich selbst leiblich als harmlos zu empfinden und damit zugleich anderen als plausibel unschädlich zu wirken. Die Harmlosigkeit wird als Vermöglichung des eigenen Leibes wahrgenommen, sodass sie als endgültig erscheint. Der Leib als Ausdruck scheint die Wahrheit des Ausgedrückten zu verbürgen, was jedoch oft nicht so ist. Wer andere belügen will, der muss sich selbst belügen, d.h. seinen Leib und kann so die Wahrheit als Lüge leben.
Andersherum kann Harmlosigkeit auch als Leibeindruck dem Menschen den Stempel aufdrücken. In diesem Fall hat sich der Ausdruck der Harmlosigkeit dem Ausgedrückten gegenüber inhaltlich unabhängig gemacht und führt zu tatsächlicher Offensivunfähigkeit. Das typische Sitzsackgefühl, das aus lang praktizierter leiblicher Trägheit resultiert, kann so die Harmlosigkeit als Leere des leiblichen Könnens und Begehrens kennzeichnen und den ganzen Menschen harmlos werden lassen. Es greift dann auch auf den Esprit über, auf das Denken und die Phantasie.
Sebastian Knöpker