Deutscherseits geht man in den Supermarkt rein, kauft ein, bezahlt, geht raus und fährt dann weg. Russischerseits bleibt man vor und nach dem Einkauf vor dem Supermarkt stehen, trinkt Limo mit dem Geruch von Katzen, Mäusen und Maiglöckchen und hat wenig Neigung zur Industrie.
Kliver, ein russischer Supermarkt in Stuttgart – Freiberg: hier wird anonymes und diskretes Reiben aneinander gepflegt. Wer ans Regal will, der wartet nicht, bis sich ein wenig Raum auftut; der stellt sich mit seinem Körper rein und verdrängt den anderen. Es handelt sich dabei um eine zur Null gewordene Unhöflichkeit der alten Sowjetvölker.
Man denkt sich weiter nichts dabei. Aber der Raum wird dadurch für die knapp, die Berührungen durch kleine Ausweichbewegungen aus dem Weg gehen. Solche Leute sind klar die Verlierer, weil sie immer dort hin ausweichen müssen, wo keiner ist. So kommt man nicht zum Einkaufen, weil man immer damit beschäftigt ist, den Mindestabstand herzustellen, der immer gleich wieder aufgefressen wird.
Die Strömungslehre des Geldes hat dazu geführt, dass im russischen Supermarkt Waren für Afrikaner, Asiaten, Rumänen und Syrer zu finden sind. Die allrussische Xenophobie hat also keine Probleme mit einer Kulturvermischung. Allerdings sieht es schon komisch aus, wenn die westafrikanischen Waren in einer Ecke ohne den üblichen kosmetischen Überhang (Perücken, falsche Wimpern, Haarverlängerungen) präsentiert werden. Yams und Maniok sehen ohne Friseurbedarf so einsam aus.
Unter den weiblichen Kunden tragen viele ihren Körper wie einen Koffer mit sich herum. Das Koffersyndrom wird mit zu kleinen Schuhen für verfettete und aufgedunsene Füße noch akzentuiert. Hinzu kommt Lippenstift über die Lippen gezogen. Dabei handelt es sich um fertige Menschen, um Frauen, die ihre Entwicklung vollständig durchlaufen haben. Man sieht keine Zwischenstadien, keine Frauen, die mitten in der Metamorphose sind, nur juvenile Nymphen oder vollendete Metabolien.
Typisch für den Einkauf der meisten Kunden ist es, vor, während und nach dem Einkauf zu verschnaufen und teleologisch zu schwanken. So wird auch ein Teil der Waren vor dem Supermarkt verzehrt, was zunächst aussieht wie eine Alkoholikerversammlung im öffentlichen Raum, tatsächlich aber soziales Füreinander ist. Die Versammlung erinnert an ein Forum im Internet ohne elektronische Illusionen.
Sebastian Knöpker