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Phänomenologie der Besitzlosigkeit

Manchmal wartet die Katze morgens darauf, endlich allein im Haus zu sein. Katzen mögen Orte, an denen keiner den Anspruch stellt, etwas zu besitzen. Das ist anspruchslos – keiner besitzt irgend etwas – aber auch anspruchsvoll, da keiner sonst vor Ort sein darf, der etwas besitzen will. Das feine Wesen der Katze hat also auch die vermauerte Seite, die Besitzlosigkeit besitzen zu wollen.

Ich will keinen Ort mein eigen nennen, aber auch kein anderer soll an diesem Ort sein, der irgendeinen Anspruch anmeldet. Der Aushilfskellner kennt dieses Phänomen, ist der letzte Gast gegangen und die Tür verschlossen. Dieser Moment überzeugt dann dadurch, das sich ein Ort bildet, an dem er nichts besitzt und nichts besitzen will, solange die Bedingung erfüllt ist, dass niemand sonst da ist, der etwas wollen könnte.

Dieselbe Lust am Nichtbesitz findet sich auch beim freien Zelten. Der Ort, wo noch keiner ist und wo man sein Zelt aufschlägt, gehört in diesem Moment weder einem selbst noch sonst jemandem. Auch hier kommt die Lust am Nichtbesitz nur dann zustande, wenn gerade niemand vorbei kommt. Die Besitzlosigkeit hat es demnach zur Bedingung, dass überhaupt niemand da ist, der Eigentumsgedanken hegen könnte. Das bedeutet nichts anderes als eine Verschärfung des Besitzdenkens.

Der Besitz der Besitzlosigkeit ist auch durchaus besitzergreifend, doch dies auf charmante Weise. Denn das In-Besitz-Nehmen eines Ortes zum Zelten lebt die Besitzlust nicht als Tatsache, ab nun etwas zu besitzen, sondern als Vorgang, das Fremde in das Eigene zu überführen, am nächsten Tag aber weiterzuziehen und dann keinen Besitztrennungsschmerz zu empfinden.

Etwas als Akt in Besitz zu nehmen muss also gar nicht zum Besitz führen, sondern kann sich in der Aneignung des Moments erschöpfen. Der Moment wird beim Zelten auf einige Nächte gedehnt, aber nicht zum zeitlich unendlich gedachten Besitz wie beim Gründstückskauf. Der Besitz gilt nur für kurze Zeit und hat ein eng gesetztes Verfallsdatum. Allerdings kann er wiederholt werden und so zu einem Zyklus führen. Das Zelten an einem Ort mit Genius führt oft zum Wunsch, nächstes Jahr wieder zu kommen und den Ort wieder in Besitz zu nehmen.

Phänomenologisch bedeutet Besitz die Bildung von Besitztiteln als Akt. Sie bezeichnet den Vorgang, Etwas in die Sphäre des Eigenen zu überführen oder entsprechend die Umkehrung, Besitz zu verlieren. Besitz in diesem Sinne ist für viele Menschen auf die Umkehrung reduziert: sie fühlen sich als Besitzer, die in Gefahr sind. Je mehr sie rechtlich besitzen, desto mehr spüren sie ihren Besitz, doch vom falschen Ende her, vom Übergang des Besitzes in den Nichtbesitz. Die temporäre Besitzbildung wie beim Zelten hat dagegen den Vorteil, den actus purus des Besitzens ideal zum Ausdruck zu bringen. Sie erspart sich den eigenen Besitz als Rechtstitel, weil sie rein auf den Vorgang der Überführung in das Eigenen ausgerichtet ist.

Sebastian Knöpker