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Phänomenologie der Betriebsamkeit

Wenn der Nachbar seine Samstagsangelegenheiten vorantreibt und den Rasen mäht, müssen auch die anderen Nachbarn vor die Tür gehen und ihre Industrie entfalten. Der Betrieb ruft den Betrieb und alle sind sie dann betriebsam.

Betriebsamkeit meint einen Zug in die Aktivität, der keinen echten Inhalt hat. Bei den Insekten ist so die ameisenhafte Betriebsamkeit eine Grundtendenz, zu heben, zu ziehen, zu wälzen und zu rudern, damit die einzelne Ameise swingend im Trend der gemeinschaftlichen Arbeit bleibt.

Die Ameisen kommen voran, aber doch nur so, viele leere Routinen der Bewegung zu vollziehen. Die Produktivität ist damit Beiwerk der Betriebsamkeit und darf mit ihr nicht verwechselt werden. Eine geringe inhaltliche Ausrichtung der Aktivität wird von den meisten Insekten durch industrielles Verhalten veredelt und die Produktivität damit gerettet.

Wie die Insekten einander durch ihren betrieblichen Habitus erkennen, bildet sich geistige Verwandtschaft bei den Menschen ebenfalls durch die Art der Geschäftigkeit. Der eine gibt sich den Anschein, in den nächsten sechs Wochen keinen einzigen Termin zu haben (hat aber welche), während der andere ziellos drauflos agiert, ohne wirklich etwas zu tun zu haben. Entscheidend an der Geschäftigkeit ist also nicht nur ihr Vollzug, sondern auch ihre Inszenierung. Die Ästhetik ist der Betriebsamkeit näher als die Funktionalität.

Das erkannte auch Richard Wagner, der von seinen Zuhörern forderte, bereits auf der Anreise zu seinen Werken eine besondere Gestimmtheit einzuüben. So erfolglos diese Erwartung war, so sehr setzen sie Menschen aus der arbeitenden Bevölkerung um: Die wenigsten fahren einfach zur Arbeit, sondern machen schon auf dem Weg zu ihr Betrieb. Sie vibrieren innerlich und glühen vor Zuständigkeit in ihrer Wallfahrt für schalenlose Individuen.

Ästhetik meint dabei den Vorgang der Noesis vor dem Noema, also den Vollzug eines Inhaltes des Vollzugs, nicht aber des Inhaltes wegen. Betriebsamkeit bezeichnet also phänomenologisch, dass Inhalte phänomenalisiert werden, damit ein starker Zug ins Leere erzeugt wird. Der Zug als iteratives Moment braucht die Inhalte, damit er sich vollzieht. Aber er braucht sie nicht als diese oder jene Inhalte. Deshalb wird sie Geschäftigkeit genannt.

Eine gesunde Betriebsamkeit, etwa beim Bau eines Hochwasserdamms, wo jeder als Glied in der Kette seine Funktion schnörkellos erfüllt, wäre die inhaltlich bestimmte Form industriellen Eifers. Wer sie erlebt, wird sofort den Unterschied zur Geschäftigkeit spüren. Phänomenologisch kann das dann später anhand der Analyse um Noema und Noesis wieder eingeholt werden.

Sebastian Knöpker