Der Ernst im Menschen hat den Vorteil, sachliche Hindernisse zu ignorieren. Wer ernsthaft von etwas überzeugt ist, missachtet und übergeht ebenso ernsthafte Schwierigkeiten und löst sie gerade dadurch nach langer Durststrecke oft. Die Ernsthaftigkeit schafft sich ihre eigene Realität, die betont unrealistisch ist, aber häufig letztlich dann doch eine Wirklichkeit hervorbringt.
Wichtigste Zutat des Ernstes ist seine Ichferne: das ernste Ziel kommt aus mir selbst auf mich zu und verpflichtet mein Ich. Der Unterschied zwischen „auf mein Ich zu“ und „von meinem Ich her“ ist dabei gewaltig, da erst durch die Ichferne das ernste Ziel an Stand und Gravität gewinnt.
Wer also freitags vor seiner Schule als einziger gegen die Klimakatastrophe protestiert, weil er sich dem Anliegen verpflichtet fühlt, das aus ihm heraus ein Wert dem Ich Verpflichtung ist, lässt sich nicht von der Vergeblichkeit der Aktion entmutigen. Tatsächlich geht das auch nicht, weil das Ich hier nichts zu sagen hat und dem Diktat des Ernstes unterliegt.
Die Ernsthaftigkeit beruht also zu einem Teil darauf, dass die Selbstregierung eines Menschen die Form annimmt, dass nicht sein Ich nicht das Handeln bestimmt, sondern er in seinen Handlungen aus seinem ichfernen Selbst her gelenkt wird. Diesen Umstand nutzen karriereorientierte Menschen oft skrupellos, indem sie ihren höchst egoistischen Karrierewunsch als objektiven Wert in sich walten lassen, der aus dem Selbst auf sie befehlsartig wirkt. „Ich muss Karriere machen; muss es einfach“ müsste dann grammatikalisch richtig heißen „Es will in mir ohne jede Diskussion, dass ich reich und berühmt werde. Und dafür werde ich alle anderen verdrängen und vernichten.“
Das nennt man dann „falschen Ernst“, der allerdings ohne moralische Wertung der Struktur nach ein echter Ernst ist. Der Unterschied zum „guten Ernst“ besteht nur darin, dass hier ein egoistisches Ziel als ichfernes Ziel erfolgreich und ohne reflexives Bewusstsein umgedeutet wird. Unwillkürlich hat der Karrieremensch erkannt, dass für das Durchhaltevermögen die Richtung, von dem her er etwas erreichen möchte, entscheidend ist: es ist sehr viel besser, sich selbst einem höheren Wert verpflichtet zu fühlen als aus seiner Egosphäre heraus etwas zu wollen.
In beiden Fällen ist der Ernst eine Kraft, die Weltwiderstände durch Beharrlichkeit und innere Standfestigkeit überwindet. Durch die subjektive Art der Selbstregierung, ein Ziel zu verfolgen wird entsprechend oft die objektive Welt verändert. Eine Einsicht in die realen Hindernisse im Sinne eines objektiven Bestandsaufnahme ist also nicht immer realistisch, weil sie die Entstehung des Ernstes überhaupt verhindern kann. Doch ohne Ernst kann auch die Biegung der Objektivität durch Subjektivität nicht stattfinden.
Sebastian Knöpker