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Phänomenologie der Teleologie

Bist du jung, dynamisch und karrierebewusst? Bist du auf dem Weg nach ganz oben? Dann gibt es für dich keine Überstunden, weil sie der Anfang der Karriere sind. Der Anfang ist aber nicht das, was er ist, sondern wohin er will. Auf gut Phänomenologisch gesagt: was ist, kann rein vom Ziel her erlebt werden, so dass die eigentliche Gegenwart gar nicht weiter auffällt.

Dieses Prinzip, das Hier und Jetzt durch das Telos (Ziel) zu erleben, kann die erlebte Gegenwart vollständig umdeuten. Wer also Surfen lernt und immer wieder unbeholfen vom Brett fällt, wird das nicht als das Scheitern erleben, was es ist, sondern als Lernprozess. Die scheiternde Gegenwart wird von einer vorweggenommenen Zukunft her erlebt, in der das Surfen beherrscht wird. Deswegen ist man nicht frustriert, wenn es erst einmal nicht geht, sondern man fühlt, auf dem Weg zu sein.

Das Telos schlägt also das hic et nunc und setzt es geradezu außer Kraft. Das macht sich der Optimist zumute, der seine triste Gegenwart nicht von dem her erlebt, was sie ist, sondern was sie seiner Überzeugung nach mal werden wird. Der Pessimist setzt dagegen die Stagnation oder ein Telos vertieften Scheiterns. Ein Rendezvous kann also vom Telos des Gelingens her angegangen und erlebt werden oder aber aus der Überzeugung heraus, dass das alles nicht gut gehen kann.

Der Nachteil vom Berufsoptimisten ist es dabei manchmal, von einer Zukunft auszugehen, die nie eintreten wird, so dass die vielen Treffen, Abendessen und Shoppingtouren nach London nie zu etwas führen. Wer hier die Zeichen richtig deutet und merkt, dass er auf Granit beißt, wer also realistisch ist, der wird seine Bemühungen einstellen, weil er er die Gegenwart nicht mehr vom Telos des Erfolgs her sieht und empfindet.

Umgekehrt ist der Pessimist in der Regel im Nachteil, weil er ein negatives Telos setzt, das für ihn im Erleben gewiss ist, so dass er sein Scheitern von der Zukunft her unmittelbar erlebt. So jemand kann z.B. nicht eine Reise nach Kenia auf eigene Faust unternehmen, weil er schon bei kleinen Schwierigkeiten die Situation vom Telos des Misslingens her erlebt. Der Pessimist muss also eine geführte Reise machen, bei der er das Telos gleich mitkauft.

In der Pädagogik wird der Optimismus als teleologische Perspektive auf das, was nicht ist, meistens vorausgesetzt. Ein schwer erziehbarer Junge, der Mülltonnen anzündet und sonstigen Unsinn treibt, muss in dieser Optik dementsprechend als sich entwickelnder Mensch gesehen werden, der gerade durch seinen Unfug in der Zukunft einmal zum geläuterten Erwachsenen wird. Diese beruflich verordnete Sicht ist dabei sehr anstrengend, weil die positive Zukunft des Problemkindes bloß möglich ist und oft gar nicht eintritt. Ein desillusionierter Pädagoge glaubt jedenfalls nicht daran und wechselt nach Möglichkeit seinen Beruf, weil sich in ihm eine Phänomenologie des Telos vollzieht, die dem Berufsethos nicht mehr entspricht.

Diese teleologische Phänomenologie besagt: was ist, kann gerade aus der phantastischen Perspektive erlebt werden, was es der eigenen Überzeugung nach einmal werden wird. Die Gegenwart wird so vom Ziel her erfahren, nicht aber vom augenblicklichen Stand der Dinge. Das Phantasiebewusstsein setzt also einen hypothetischen Zustand, der ein Wegerlebnis hervorbringt: man empfindet sich auf dem Weg zum Ziel. Das erklärt, warum der karrierefixierte Mensch Überstunden als sinnvoll erlebt, denn je mehr er arbeitet, desto mehr kommt er seinem Erleben nach voran. Das Telos als Endzustand wird so zu einem ständigen Vorgang in der Annäherung vom Istzustand zum Soll.

Sebastian Knöpker