Frage an den Phänomenologen: Mein Schwiegervater ist hinfällig geworden – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich sage es ungern: wenn er hinfällt, habe ich immer den Eindruck, er fällt für die Galerie, er sucht ein Publikum. Gibt es das? Kann das sein?
Es ist kein Geheimnis: die Qualität des Fallens lässt nach. Im Fußball fällt man schon ganz offiziell für die Zuschauer, wälzt sich dann und schlägt mit der Hand vor Schmerz auf den Boden.
Rugbyspieler sehen darin eine Verletzung des Kodex zu fallen. Sie selbst fallen nur dann, wenn sie nachvollziehbar Opfer der Gravitation und auf sie zustoßender Körper werden. Zwar ist das Hinstrecken des Gegners Programm und die Zuschauer wollen diese Inszenierung des Sturzes unbedingt sehen, aber es ist eben ein ganz sportliches Hinfallen.
Vorbildlich ist das Fallen der Katze. Denn sie orientiert ihren eigenen Körper in Richtung Boden und landet fasst immer auf allen Vieren. Das Ehrliche am Fall der Katze ist es, dass sie sich nur um die Propriozeption ihrer Körperglieder zueinander kümmert. Sie fällt nicht für den Zuschauer, sondern löst gerade konzentriert und gekonnt ein Problem.
Betrunkene scheinen nun ebenfalls ehrlich zu fallen. Das stimmt dann, wenn der Besoffene sich an einem Weihnachtsbaum festhalten will, dabei nach vorne kippt, eine Ausgleichsbewegung nach hinten macht und dann mit dem Rücken auf den Boden knallt.
Doch liegt beim angetrunkenen Hinfallen auch oft eine erworbene Hilflosigkeit zu Grunde. Es ist nicht immer reines Nichtkönnen, sondern auch ein Signal nach außen, jetzt ein wenig Hilfe zu benötigen.
Auch kleine Kinder neigen dazu, einen Fall schlimmer machen, als er ist. Deswegen ist es nicht ausgeschlossen, dass Ihr Schwiegervater ebenfalls darauf zurückgreift. Allgemein gilt, dass das Fallen längst seine Unschuld verloren hat und oft übertrieben wird, hingen nur selten runtergespielt und in seinen Konsequenzen verborgen wird. Tendenziell wird das Fallen als sozialer Vorgang in Szene gesetzt und wird darin mehr als ein motorischer Unfall.
Sebastian Knöpker