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Raumschaft

Raumschaft ist der Begriff für eine vielfältig gestörte Landschaft. Diese Vielfalt meint die Schnittmenge mehrerer verdorbener Landschaften. Raumschaft bezeichnet also eine gestörte Kubikräumlichkeit.

Eine klassische Raumschaft ist die Region Stuttgart. Vergebens sucht man hier einen Waldweg, der zum Pfad wird und sich dann zwischen den Bäumen verliert. Dafür gibt es Zubringerstraßen, die zu Autobahnen werden, von denen dann andere Autobahnen abbiegen. Die Stuttgarter Raumschaft ist also eine Raumflucht, eine Abfolge von Ausschnitten aus dem Raum, die durch Straßen voneinander getrennt, aber nicht miteinander verbunden sind.

Regional ungültig ist im Großraum Stuttgart auch der Satz: „Ich erkenne die Freude der Fische aus meiner Freude beim Wandern am Fluss.“ Die Fließgewässer bestehen nämlich aus Abwässern und industriellem Absud. Sie wälzen sich trübe und gleichgültig fort, bis sie in den Neckar entwässern, in dem die Fische einen Antrag auf ständige Ausreise gestellt haben. Unter diesen Umständen kann man nicht gut die Freude anderer Geschöpfe an ihrem bloßen Dasein als die eigene Lust am Leben fühlen.

Der Neckar selbst besitzt keine glaubwürdige Existenz. Sein Problem ist es, dass seine Ufer nur Begrenzung des eingeschlossenen Wassers sind und also kein Verhältnis der eingeschlossenen Masse zur Umgebung fühlbar wird. Begrenzt wird er von Straßen, Autobahnen, Parkplätzen und Abstandsgrün, sodass man nicht bloß am falschen Ufer steht, sondern immer an Ufern, die keine sind, sodass auch der Fluss nicht ist.

Die Mindestausstattung von Ufern wird hier deutlich verfehlt. So einfache Dinge wie das Ufergefälle stimmen nicht, das offenkundig von Spundwänden inspiriert ist. Allgemein gilt: ein Ufer entsteht nicht dadurch, dass etwas von oben in den Boden gerammt wird, sondern dass das Wasser des Flusses von unten nach oben arbeitet. Ist also die Richtung verkehrt, kann sich auch kein Ufer bilden.

Die Bestimmung des Ufers ist es immer noch, unbestimmt zu sein, um etwas aus sich zu machen. Moralisch ausgedrückt ist das seine Würde, phänomenologisch ist es sein Wesen, das durch die kubische Existenz der Einkäfigung des Neckars verfehlt wird. Die Neckarufer haben auch kein Potenzial, so wie die Rheinufer in Mannheim oder Neuss, wo trotz Betonplatten das Wasser sich seine Form wieder erarbeitet hat. Dem Neckar fehlt das Temperament, seinen Betonkragen kleinzukriegen.

Phänomenologisch bezeichnet Raumschaft also zusammengefasst den gelebten Raum als Postlandschaft. Sie besteht in der kinästhetischen Zerstückelung, die auf Raumfluchten beruht, die noch gesehen, aber nicht mehr durch Bewegung erfahren werden können.

Sebastian Knöpker