Pferdeställe besitzen ein magnetisches Feld und ziehen junge Mädchen wie ältere Herren wie magisch an. Sie möchten dort gerne arbeiten und für umsonst schuften. Das sorgt für eine Mikrophysik der Macht …
Jeder Chef wäre erfreut, wenn Mitarbeiter sich bei ihm melden, um ergeben und ohne Gegenleistung für ihn zu arbeiten. Im Reitstall ist die Lage aber komplizierter, denn hier sammeln sich die wirklich ergebenen Elemente, Menschen, die sehr gerne das wollen, was der andere will.
Die Machtübertragung funktioniert so reibungslos, dass sie auch schon wieder stört. Denn der Pferdestallbesitzer ist dann wegen zu viel Dienerei bereits genervt. Wenn Günni, ein verdrossener Fünzigjähriger, sich also ans Werk macht und die Wassereimer schleppt, macht er sich damit nicht nur Freunde.
Reitstallbesitzer Görg hatte immer schon eine Abneigung gegen Hunde, die zu sehr ihrem Herrchen nachkamen und sich als letzter Buchstabe im griechischen Alphabet einordneten. So einer ist auch Günni, der nach einer verpfuschten Expansion – einer Liebesaffäre in Thailand – die ergiebigste Richtung seines Wesens in der Untertänigkeit sieht.
Wenn Görg morgens zum Stall kommt, ist Günni schon da und eifrig bei der Sache. Ist seine Arbeitskraft auch erfreulich, stört seine Anwesenheit durchaus. Deswegen zählt Görg seinen ergebenen Stallknecht gerne an. Gelegenheit dafür bietet sich, wenn Günni wieder einmal von Eimers spricht. „Eimer“ müsste es ja korrekt heißen, aber er hat es mit der Pluralbildung nicht so. „Du sagst einmal noch Eimers, Günni, und ich schmeiße dich raus, glaubs mir!“, bekommt er dann von Görg eine eindeutige Ansage.
Günni kennt das schon und findet das nicht schlimm. Es sind auch eher die freundlichen Worte, die ihm Sorgen machen. Denn er reagiert auf das Gute wie auf ein Versäumnis des Schicksals. Das will nicht so recht zu ihm passen.
Phänomenologisch betrachtet ist Günni der Prototyp einer Selbstregierung als Fremdregierung. Selbstbestimmung heißt für ihn Fremdbestimmung auf die Weise, das zu machen, was andere von ihm seiner Meinung nach erwarten. Auf diese Weise ist er der Last, aus sich heraus zu entscheiden, entkommen und gewinnt einen eindeutigen Stand im Leben. Freiheit und Zwang fallen bei ihm so zusammen, das Fungieren für andere als eigenes Wollen zu leben.
Diese Form der Selbstaufgabe in der Machtvorwegnahme des Anderen findet Görg etwas lästig. Denn er ist kein Machtmensch und hätte auch an der devoten Grundhaltung von Günni keine Freude, wäre er einer. Denn das Herrscherverhältnis, ungefragt das zu bekommen, was der Herr gerne hätte, verdrießt die eigene Selbstregierung. Görg fühlt sich von seinem Satelliten gegängelt, weil er der unfreiwillige Empfänger der abgegebenen Selbstregierung eines Anderen geworden ist.
Sebastian Knöpker