Die Phänomenologie beschreibt nicht nur Phänomene, sie erfindet auch welche. Die hedonistische Phänomenologie erfindet dabei insbesondere neue Lüste. Ihr lustvolles Programm besteht also darin, den Horizont der Genussserien zu erweitern.
Zu Beginn steht immer das Phänomen, das beschrieben wird, um es dann zu kondensieren und auf ein Prinzip hin zu abstrahieren. Die Verschmelzung zweier sinnlicher Eindrücke ist so eine Phänomenbasis, so wie in der Musik, wo ein Ton stets noch einen Oberton aufweist, mit ihm eine Verschmelzung bildet und mit noch anderen Tongebilden weiter verschmelzen kann.
Das Prinzip der Verschmelzung lässt sich durch Abstraktion phänomenologisch bestimmen, um es dann auf andere Erfahrungsbereiche zu übertragen, also zu übersetzen.
Fusionierende Phänomene finden sich auch beim Schmecken. Bei der marokkanischen Salzzitrone kann das Salzige und das Saure eine lustvolle Einheit ergeben, in der sich einzelne Eigenschaften von salzig und sauer erhalten, ohne dass es zu einer Durchmischung der beiden Sinnesqualitäten käme.
Die Verschmelzung kann man nun auch in Bezug auf Angst und Lust anwenden. Zwar ist diese Kombination bekannt von der Angstlust bei Kindern, aber sie schöpfen die Möglichkeiten hierfür nicht aus. Es bleibt genug hedonistische terrae incognitae übrig, um weitere Verschmelzungs(un)lüste zu finden. Verschmelzungsaffekte von Schuld, Lebendigkeit, Angst, Lust und Aggression sind ja nicht nur auf die katholische Kirche und Horrorserien im Fernsehen beschränkt.
Auch beim Schmecken lässt sich phänomenologisch expandieren. Die Salzzitronen sind nun bekannt, aber die Verschmelzungsmöglichkeiten allein in dem Sektor salzig/sauer und salzig/sauer/süß sind unübersehbar. Phänomenologie heißt hier, ans Werk zu gehen, und Lebensmittel zu produzieren, die alle möglichen Kombinationen der Verschmelzung ausprobieren. Das Mittel der Wahl ist dabei die Fermentation, die z.B. Schimmel, erdigen und metallischen Geschmack nach einiger Zeit des Fermentierens in eine Einheit bringen. Diese Tätigkeit steht zwischen Kochen, Labor und Phänomenologie.
Die hedonistische Phänomenologie hat also nicht nur ein Programm, sondern auch einen weiten Horizont der Anwendungen. Im Gegensatz zum gescheiterten Experiment von Husserls Erkenntnisidealismus oder von Lévinas Projekt der Vorgängigkeit der Ethik vor der Ontologie, findet sich eine konkrete Arbeit an den Phänomenen.
Sebastian Knöpker