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Assoziation in der Phänomenologie

Die Assoziation ist eine Erinnerung an die Zukunft. Was als räumliche und zeitliche Aufeinanderfolge einmal erlebt wurde, wird antizipierend auf das Kommende bezogen. Die Assoziation regelt Koexistenz und Sukzession – und beruht auf ihr.

Dissoziation meint Trennung und Getrenntbleiben, Assoziation Verbindung im Akt und in der Folge Verbundensein. Jede Assoziation ist damit eine Dissoziation, da im Vollzug eines assoziativen Bezugs alle anderen Möglichkeiten der Verbindung verhindert werden.

Die Assoziation beruht auf typisierender Ähnlichkeit, demnach eine Erfahrung im Aktuellen oder Werdenden durch das Prinzip der Deckung von dem, was war, mit dem, was ist oder kommen wird, gesetzt wird. Das Ähnliche wird dabei zum Identischen – die meisten Assoziationen arbeiten mit Familienähnlichkeit statt mit Identität.

Die assoziative Lockerung ist ein literarisches Stilmittel, etwa wenn ein Kind in einen Kleiderschrank geht, dort von schweren Pelzen im Gesicht gestreift wird, die unmerklich zu streifenden Zweigen werden, sodass es sich schließlich in einem Märchenwald wiederfindet. C.S. Lewis nutzt diese Assoziationskette in Die Chroniken von Narnia auf elegante Weise, sodass der Leser den Horizontwechsel assoziativ gerne mitmacht.

Eine assoziative Urerfahrung ist das Schlangestehen: in England wird das Schlangestehen strikt eingehalten, in Kenia hingegen nicht. Bin ich lange in England, stelle ich mich an das Ende der Schlange, weil mir die vergangenen Erfahrungen assoziativ durch Ähnlichkeit der Situation mit dem Vorhergehenden eine Tendenz eingeben. In Kenia angekommen mache ich andere Erfahrungen, sodass der Assoziationsstil des Vordrängelns bald den Impuls zur Handlung setzt.

Anders ist es in der leiblichen Assoziation: bei der erotischen Berührung wird die Assoziation durch fortschreitende Wahrnehmung nicht erfüllt oder enttäuscht, sondern erfüllt oder verpasst sich selbst. Die Antizipation einer Berührung als Möglichkeit steht für sich, ist aus und durch sich eine Lust. Die Erwartung an Berührung und Berührtwerden in der erfüllten Erotik steht auf sich selbst. Entsprechend ist das „Wahrheitskriterium“ für Assoziationen in der Erotik die Lust.

Hingegen ist in der medialen Berichterstattung ein klassischer Wahrheitswert gefragt: die assoziative Kette ist hier wahrheitsfähig. Die oft geweckte Assoziation, dass ein blutend am Rand eines Bombenkraters liegendes Kind wertvoller sei als ein verdrossener Endsiebziger, der zwei Krater weiter liegt, ist so falsch wie vulgär, aber leider beliebt. Die Assoziation nutzt hier eine uneigentliche Bedeutung: keiner sagt es ja ausdrücklich, doch gilt, dass das eine Opfer mehr wert als das andere ist.

Phänomenologisch gilt: Assoziationen sind typisierte Erinnerungen, deren Zeitrichtung sich auf die Zukunft bezieht. Sie haben mit Kausalität nichts zu tun, erfassen diese nicht, bestehen auch nicht in ihr, widersprechen ihr dafür jedoch oft in Politik, Ästhetik, Synästhesie und Erotik.

Sebastian Knöpker