Wie beim Aquajogging für die Ü 70 – Fraktion herrscht beim Erfolgsseminar Bombenstimmung. Im Bootcamp des Erfolges werden dabei keine Inhalte vermittelt, dafür aber das dringende Gefühl, ein Sieger zu sein. Das Phänomen hat also Gültigkeit, wo eigentlich gar keine sein sollte. Eine phänomenologische Aufklärung.
Erfolg der Sache nach und sich erfolgreich fühlen sind zweierlei. Wer auf die Dauer sehr erfolgreich ist, wird seinen Erfolg kaum noch spüren. Nur wer erfolglos ist, wird sich auch ruhelos immer danach sehnen.
Für den Mensch ohne größeren Erfolg gibt es zwei Auswege: erfolgreich zu werden, zu bleiben und damit das Geheimnis zu entdecken, dass das Erfolgsgefühl nicht lange vorhält. Oder er geht ins Erfolgsseminar, und fühlt sich dort auf der Höhe des Erfolges.
Beide Varianten haben dasselbe Problem: sie dauern nicht. Der Erfolgsrausch ist so wie die Farbe Grün, die nicht mehr Blau ist, ein Nicht-mehr-Blau, das bald zu einem reinen Grün wird. Erfolgseuphorien sind also ein Übergangszustand als Nicht-mehr-erfolglos-Sein.
Für den Erfolgscoach ist das aber wohl eine erfreuliche Nachricht: Erfolgsgefühle sind erstens gar nicht notwendig an Erfolg gekoppelt. Sie können auch ohne Erfolgsvollzug eintreten, dauern dabei aber zweitens nur kurz, was aber auch gut ist, da dann die Kunden bald schon wieder auf der Matte stehen.
Die Bedingung für Erfolgsgefühle ist ihre Möglichkeit, nicht jedoch ihre Wirklichkeit. Es ist so wie der Umzug nach Berlin aus der Provinz, wonach erst einmal alles möglich ist. Dieses Gefühl der Vermöglichung interessiert sich zunächst einmal überhaupt nicht für deren Verwirklichung. Denn wer nicht mehr auf dem platten Land wohnt und dafür gerade eben erst in Berlin-Kreuzberg angekommen ist, der lebt im Nicht-mehr-Blau als Grün, also im Übergang zweier Städte und ihrer Möglichkeitenhorizonte.
Der gute Coach weiß das natürlich und nutzt das in der Alkoholiker-Variante. Entscheidet der Säufer sich, mit dem Suff aufzuhören, kann er an diesem Abend weitertrinken, weil er davon überzeugt ist, morgen damit aufzuhören. Das Aufhören hat also gefühlt schon begonnen, während der Trinker tatsächlich in reiner Kontinuität ein Saufhaus bleibt.
Beim Erfolgcoaching ist es ähnlich, da die Suggestionen des Coaches einen Aufbruch ohne jede Anstrengung versprechen. Es geht schon los, die Sache mit dem Erfolg, auch wenn man erst einmal in einem Raum herumsitzt. Diese triste Tatsache wird von der Anflutung des Erfolgsgefühls bei vielen Teilnehmern übermannt und schon man ist man drin im branchenüblich so genannten Flow.
Die richtigen Coaches sind meist in ihrem eigentlichen Beruf erfolglos, oft auch Pleite gegangen und verfügen über viele gescheiterte Ehen. Sie lesen keine Bücher, sondern zitieren aus ihnen, bauen in ihre Seminare Sequenzen aus dem Fitnessstudio ein und haben damit sogar Erfolg. Phänomenologisch gesprochen: sie erzeugen beim Gros der Teilnehmer ein Gefühl, ein erfolgreicher Mensch zu sein.
Sebastian Knöpker