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Das Ding, das zu viel weiß

Ein Kondom, das durch eine Serie ungünstiger Umstände nicht zum Einsatz kam, weiß zu viel. Es muss durch ein neues ersetzt werden, das noch keine Vorgeschichte hat. Das Problem mit dem alten Präservativ ist es, dass es seinem Besitzer ungebeten etwas mitteilt: es redet zu viel von dem, was nicht war.

Dinge teilen oft ungefragt dem Menschen, der sie sieht, etwas Persönliches über sie mit. Oft handelt es sich dabei um ungewolltes Wissen, so wie im Fall des Kondoms. Ausgelagertes Wissen kommt so zum Subjekt zurück.

Manche Menschen kann man deswegen nicht ausstehen, weil sie in ihrem bloßen Anblick an das erinnern, was man selbst ist. Sie sprechen über den, der sie sieht, unschöne Wahrheiten aus. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein Projektmensch, der viele Projekte vorantreibt, dabei aber meistens leer ausgeht, einen anderen Projektmenschen trifft, der es ebenfalls so hält. Berlin, die Hauptstadt der Projekthuber, ist somit voll von Begegnungen, in der einer den anderen nicht ausstehen kann, weil er zu viel weiß.

Phänomenologisch betrachtet ist das aber keine Aussage über den Wissensstand des Anderen, sondern über das Wissen, was ihm vom wahrnehmenden Subjekt im Akt der Wahrnehmung zugeschrieben wird. Das Wissen kommt also nicht vom Anderen, sondern wird ihm im Sehen vom sehenden Subjekt mitgeteilt, auf das es sich dem Subjekt wiederum mitteilt.

Der Mensch nimmt einen Gegenstand wahr, der als das Ding, das es ist gegenüber dem Wahrnehmenden ein eigenes Wissen hat, das sich ihm durch das Objekt mitteilt. Damit weiß das Subjekt nicht zu viel, entlastet sich und kann an das Objekt durch bloße Aufmerksamkeit herantreten, um dieses Wissen zu aktivieren, was z.B. bei choreographierten Bewegungsfolgen wie im Tai Chi genutzt werden: jede Bewegung weiß etwas, nämlich wie es weitergeht, so dass eine Bewegung die andere initiiert, die dann wieder etwas weiß, was zu tun ist.

Objekte, die zu viel wissen, sind also oft von konstruktiver Wirkung, denkt man an die traumhafte Sicherheit von Handwerkern, die im Anblick eines Instrumentes plötzlich genau wissen, was sie zu tun haben. Das Wissen kommt genau im richtigen Augenblick, belästigt den Handwerker sonst aber nicht. Die Auslagerung an Wissen und Wollen auf das gesehene Objekt beruht also darauf, nur bis zu einem gewissen Grad zu existieren, was das Leben erleichtert oder wie im Fall des Kondoms erschwert.

Sebastian Knöpker