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Das Gegenteil des Ressentiments

Was du hast und ich nicht haben kann, aber haben will, das verzeihe ich dir nicht. Du bezeugst mein Ungenügen, setzt mich zurück und deswegen setze ich dich zurück. – Ein Ressentiment ist also ein Rückschlagsgefühl, aber was ist sein Gegenteil?

Das Ressentiment besteht in der Enthöhung von einem Wert beim Mitmenschen, den man selber gerne verkörpern würde. Wenn man diesen Wert selbst schon nicht haben kann, so lässt er sich gut herabsetzen und in dieser geschwächten Form zumindest ertragen.

Das Gegenteil dazu ist die Überhöhung eines Wertes, den man nicht hat, gerne hätte und gerade deswegen über seinen eigentlichen Wert hinaus schätzt. Die Franzosen nennen das einen amateur, also einen Dilettanten, dessen zentrale Fähigkeit nicht das Können ist, sondern der (sichere) Geschmack an dem, was andere können und machen. Le grand amateur will also nicht mithalten oder übertreffen, geht es zum Beispiel um Kunst und Kultur, er will sie aus sicherer Distanz heraus wertschätzen und in ihrem Wert überzeichnen.

Die Philosophie profitiert davon sehr, denn der amateur fordert von ihr keine wirkliche Leistung, sondern nur den Anschein des Tiefsinnigen und vom Alltag Entrückten. Kann sie auch sonst nicht viel – das vermag sie schon zu leisten.

So rekrutiert sich auch die unbedingte Anhängerschaft Heideggers im Kern aus Amateuren, die gar nicht so genau wissen wollen, worin seine hermeneutische Phänomenologie besteht. Genauer: es nicht zu wissen und auch nie in Erfahrung zu bringen ist Bedingung dafür, die Überhöhung dauerhaft in sich zu leben.

Es lohnt also, kleine Peripherien in sich anzulegen, mal in ein fernes Land zu fahren, um es so ungenau kennen zu lernen, dass man darin dauerhaft Werte vermuten kann, die dann einen ungeheuren Eindruck machen. Ein Land wie Sri Lanka kann man unbedenklich in die Überhöhung erheben, wenn man nur ganz am Rande mit ihm zu tun hat. Das erhöht eben die Lust am Leben, indem man das Andere als das ganz Andere stehen lässt, um es so zu bewundern.

Leider ist dieser Amateurismus im Geschlechterverhältnis stark auf dem Rückzug: ein Mann kann eine Frau, die er begehrt, nicht mehr so leicht übersteigern, weil sie oft keine Weiblichkeit mehr besitzt, die dazu in der Lage wäre. Was der Mann nicht hat – das Feminine – das kann er bewundern, aber wenn die Frau die Ästhetik der Weiblichkeit abgelegt hat, fehlt der Ausgangsfunke. Das gilt auch für Männer, die oft die Männlichkeit vermissen lassen, die doch aus weiblicher Sicht zum Amateurismus einlädt.

Allgemein gilt: das Gegenteil vom Ressentiment ist die Überhöhung von dem, über das man selbst nicht verfügt, jedoch begehrt. Das Begehren besteht dabei nicht im Übertreffen des Begehrten, sondern im Können des Bewunderns. Woran man nicht klingeln kann, das kann man so zum eigenen Wert machen, den fremden Wert als das Höhere im Niederen zu setzen. Der angenehme Nebeneffekt dabei: man wird selbst zum Wert.

Sebastian Knöpker