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Was ist der Wert wert?

Werte sind oft geflügelte Kinder der Eigenliebe und verzerren die Wirklichkeit so, dass sie nur noch dreieckig verkürzt wahrgenommen werden kann. Aber ungeachtet der Frage, ob ein Wert richtig oder falsch ist, kann man nach dem Wert des Wertes fragen. Ein Wert kann falsch sein, aber dennoch Qualitäten besitzen, die weit über bloße Nützlichkeit hinaus gehen.

Der Wert des Wertes zeigt sich an der Art, wie er den Menschen motiviert und in Bewegung versetzt. Die protestantische Nächstenliebe ist so ein Wert, der von vielen Protestanten eingehalten wird, aber so, dass der Wert der Philantropie den Rest des Menschen zwingt, etwas zu machen.

Die evangelisch gelebte Nächstenliebe ist daher manchmal minderwertig, weil sie den Menschen nicht mit ihrem Wert durchwärmt, durchströmt, mit sich einnimmt und sich behaglich in der ganzen Seele ausbreitet. Stattdessen zieht und zergelt der Wert und setzt den Gläubigen innerlich widerwillig in Bewegung.

Umgekehrt ist ein Fan von den Stuttgarter Kickers, der für seinen Verein glüht, aus sich heraus von den Stukis erfüllt: er macht aus aus sich heraus alles für seinen Verein, ohne in sich geschubst werden zu müssen. Sein Wert, der SV Stuttgarter Kickers, ist zwar weit von der Höhe der Nächstenliebe entfernt, aber wertvoller, geht es um die Weise, wie er den Träger des Wertes motiviert. Er nimmt den ganzen Menschen von sich aus ein und mit, was beim Protestanten oft nicht der Fall ist.

Allerdings sind junge Fußballfans in einer bestimmten Lebensphase nicht wählerisch, einen Wert zu leben, solange er gerade dem Verlangen nach Werthaltigkeit entspricht. Es geht dann nicht um einen bestimmten Verein, sondern um einen fast schon beliebigen Wert, der die verlangte Lebendigkeit nach Wertbewusstsein verwirklichen hilft.

Der Wert des eigenen Vereins ist dann nicht vollwertig, weil er nur als Platzhalter für lebendiges Wertempfinden als innerer Gusto steht. Er besitzt nur eine geringe Halbwertszeit, weil es nie um den Wert als solchen geht, sondern nur um das Wertbewusstsein, das viel allgemeiner als ein spezifischer Wert ist. Anders ausgedrückt ist der Wert namens Stuki deswegen oft wenig wert, weil er nur dazu dient, Wertigkeit in sich zu leben. Als der Wert, der er ist, wird er gar nicht gemeint.

Andererseits besitzt auch dieser falsche Fan eine verdoppelte Wirklichkeit von Wertbewusstsein einerseits und je konkreten Lustserien andererseits im Stadion. Er empfindet nicht nur gerade die konkrete Lust oder Unlust, wenn er mit seinem Verein zu tun hat, sondern darüber hinaus spürt er auch immer die Präsenz des Wertes namens Stuttgarter Kickers. Sein Wert hat also den Wert, die Wirklichkeit zu potenzieren. Was er erlebt, das ist immer die Wirklichkeit eines Wertes und noch dazu die einer konkreten Szene. Der Erfolgsfan hat das nicht und muss sich immer am Bier, das er trinkt, an der Wurst, die er isst und am Tor, das seine Mannschaft schießt, erfreuen. Er ist also kurzatmig angelegt, geht es um die Stetigkeit des Erlebens, weil es nicht gut möglich ist, lückenlos Erlebnisse zu generieren.

Der wertbewusste Fan hingegen muss nicht immer konkret etwas erleben, weil er stets den Wert seines Clubs erfährt. Besser noch: wenn die Stukis verlieren, was sie sehr oft tun, dann kann er darin trotz der Unlust doch den Wert namens Stuttgarter Kickers leben. Er hat so ein schön gestärktes Wertbewusstsein, das aufgrund seiner Lebendigkeit den Unlustcharakter der Niederlage überwiegen kann.

Die phänomenologische Analyse von Werten, so zeigt sich, ist also nicht auf den ethischen Wert hin zentriert, sondern auf Aspekte des Seelenlebens, welche die Architektur der Seele betreffen. Es geht wesentlich darum, wie ein Wert den Menschen stabilisiert, fragilisiert und wie er Phänomene als Wirklichkeit und Lebendigkeit hervorbringt.

Sebastian Knöpker