Schnorren ist von den Rändern der Gesellschaft in kurzer Zeit deutlich in die Mitte gerückt. Denn Betteln gilt nicht mehr als Selbsterniedrigung, sondern als Form des freien Unternehmertums. Daher kennen die Schmarotzer der Gegenwart auch keine Demut beim Anpumpen mehr – sie sind Fundraiser geworden.
Wie das kleine Kind dabei die Lüge nicht kennt, weil es auf logische Pünktlichkeit überhaupt nicht achtet, so ist es auch beim Benzinbettler, der zum Auftanken mal eben zehn Euro geschenkt haben will. Wie sonst könnte er ohne Gratifikation von Offenbach nach Hanau kommen? Soll er laufen?
Alternativen zum Auto bilden für ihn aufrichtig keine Ausweichmöglichkeiten. Elementare Aspekte der Wirklichkeit, also S-Bahnen oder Beine, gibt es für ihn nicht, was seinem Anspruch einen erfrischenden Anstrich von Selbstverständlichkeit gibt. Seine Borniertheit hilft ihm also sehr, beim Betteln gut rüberzukommen.
Bei modernen Bettlern paart sich also eine gesteigerte Anspruchsanhaltung mit einem nivellierten Welthorizont. Dem Benzinbettler steht seine geforderte Subvention aufgrund der Schlichtheit seines Weltbildes zu und es ihm ihm auch undenkbar, zu gehen oder mit dem Rad zu fahren.
Ganz anders dagegen arbeitet der durch Funk & Fernsehen hierzulande bekannt gewordene indische Benzinbettler. Er bietet einen vergoldeten Kupferring als Pfand für einmal Volltanken und erzeugt so zumindest den Anschein einer Transaktion im Sinne von Geben und Zurückgeben. Im Handschuhfach hat er stets einen Vorrat an Kupfer-Goldringen und setzt sie bei Benzinknappheit ein. Er ist aber nur dann echt, wenn seine ganze Familie (Oma, Frau, drei Kinder) hinten im Wagen sitzen und schwitzen.
Mir begegnete vor kurzem einer, der tatsächlich seine ganze Familie im Auto sitzen hatte. Aber er kürzte seine Grunderzählung radikal ab, weil er dabei Anstrengungsgefühle entwickelte. Offenkundig ging er davon aus, dass seine Kunden bereits aus den Medien über diese Art der Transaktion hinreichend gewarnt worden sind, so dass sie von sich aus dem kleinen Betrug zustimmen.
Bierbettler sind da sympathischer: sie wollen kein Benzin, kein Geld, sondern bloß Alkohol. Allerdings lauerte mir neulich einer vorm Supermarkt auf und wollte gleich einen ganzen Kasten Bier. Zum Stehlen war er zu dumm (er wurde bereits erwischt), konnte so auch kein Bier selbst kaufen (Hausverbot), hatte aber sowieso kein Geld. Das einzige, was er zu bieten hatte, war sein Gefühl, dass ihm irgendwie ein Unrecht zugestoßen sei.
Die Konstante bei all den Bettelphänomenen ist es also, das die Schnorrerstories wenig ausgearbeitet sind, lustlos abgespult werden, dafür aber die Anspruchshaltung unerschütterlich ist. Der Bettler tritt dabei als Arbeitnehmer seiner selbst auf, hat also die Fundraiser von Greenpeace kopiert, die ebenfalls lediglich ihrer Arbeit nachgehen. Durch das subjektive Gefühl, beim Betteln zu arbeiten, ist dem Bettler nichts mehr peinlich, da er nicht mehr als er selbst auftritt, sondern als sein eigener Angestellter.
Sebastian Knöpker