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Wissensverbrauch

Kleine Kinder verbrauchen systematisch ihre Mitmenschen, um aus den konkreten Erfahrungen mit ihnen ein Weltbild zu machen. Was ein Kind im einen Moment erlebt, das wird sehr schnell typisiert und generalisiert, so dass das eigentliche Erlebnis notwendig vergessen und verbraucht wird.

Wissensverbrauch heißt also, einzelne Erfahrungen zu einer abstrakten Summe zusammenzuziehen, wodurch das Konkrete vergessen wird. Beim Kleinkind lässt sich der Wissensverbrauch sehr gut beobachten: es kann sich an Spielkameraden oft nicht mehr erinnern, mit denen es sehr viel Zeit verbracht hat. Der Grund dafür liegt darin, im Spiel mit Gleichaltrigen bestimmte Erkenntnisse zu bilden, etwa wie Nähe und Distanz erzeugt werden kann. Es verbraucht also seine kleinen Mitmenschen, um typisierte Wissensbestände zu erzeugen.

So ist die Phase, in der das Kind das Mittel der Lüge entdeckt, ein Erschaffen von Wissen, wie, wo und auf welche Weise man die Lüge reiten kann. Dazu muss natürlich konkret gelogen werden, und die Reaktionen der Umwelt lustvoll und schmerzhaft durchlebt werden, um all das zusammenzuziehen und eine Technik des Lügens im reinen Kinderherzen zu etablieren.

In der Philosophie wird ebenfalls Wissen im großen Maßstab verbraucht. Bei Hegel ist der Verbrauch beginnend mit der Phänomenologie des Geistes bis zur Wissenschaft der Logik enorm. Dabei kommt am Ende nicht viel raus, sieht man von der Methodik dialektischen Denkens ab.

Marx hat diesen unsachgemäßen Verbrauch des Wissens entsprechend kritisiert und schaffte durch seine Synthesen tatsächlich eine Erweiterung der Welt, aus der die einzelnen Erfahrungen stammten. So wie beim Kind, wo konkrete Erfahrungen zwar konsumiert und aufgebraucht werden, aber zu abstrakten Synthesen in der Welt eben dieser Erfahrungen werden, so schafft es Marx zu Teilen, die Herkunftswelt zu bereichern. Bei Hegel geht es dagegen eher um Weltüberwindung, als Bildung einer neuen Welt, in der die alte als ein Krümelchen Platz findet.

In der Psychotherapie spielt der Wissensverbrauch ebenfalls eine große Rolle. Hier geht es darum, konkrete, belastende Erinnerungen nicht zu vergessen oder zu verdrängen, sondern sie in ein Form zu bringen, in der Ort, Zeit und Personen obsolet werden. Die Tatsächlichkeit des Erlebten lässt sich erstaunlich gut ertragen, hat man sie in leicht abstrakte Höhen gehoben. Die Erinnerung daran ist dann mit einem natürlichen Distanzgefühl ausgestattet, das die Verdrängung unnötig macht.

Sebastian Knöpker