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Schnüffelpolizei

Der besorgte Bürger neigt zu schnüffelpolizeilichen Aktivitäten und sucht die Nähe zu den Sicherheitsorganen. Kafka hatte vor den polizeilichen Ambitionen der Privatausforscher Angst, die ihrerseits keineswegs Kafka lesen, aber doch Tag für Tag so leben, wie er die Schnüffler beschreibt.

Draußen ist es nasskalt und zu Hause gibt es bloß lauter abgenutzte Atmosphären. Es ist langweilig, und so muss der besorgte Bürger etwas machen, die Welt noch ein bisschen weiter verhäßlichen, um sich so zu erfrischen.

Irgendwo muss man Betrieb machen, so durch einen Anruf bei der Nummer 110, was aber auch wieder zu viel wäre, so dass auch 112 ausfällt, weil ein richtiger Notfall nicht vorliegt. Bleibt also die 115, die Behördennummer, die immer ein offenes Ohr hat und den besorgten Bürger dann auch weiterverbindet.

Obwohl man auch gleich das Veterinäramt oder das Jugendamt anrufen könnte, hat man so eine schöne Referenz, einen guten Einstieg in die Sache. Um was geht es übrigens? Nehmen wir mal an, Bürger X hat sich in seine Nachbarin verhasst. Diese hat Kinder, die laut sind und die Mutter selbst spricht kein Deutsch, sondern nur Ausländisch. Also schnell die 115 wählen und fragen, ob die Stadt nicht mal einen Dolmetscher kommen lassen kann, um offene Fragen zu bereden.

Das Bürgertelefon verbindet, es knackt …. und das Jugendamt meldet sich. Dieselbe Geschichte muss Bürger X noch einmal erzählen und schon gibt es einen Treffer. Denn das Jugendamt hat polizeiliche Befugnisse, interessiert sich sehr für Kinder jeder Art und schöpft einen Verdacht. Die Kinder weinen also oft? Die Mutter ist der Erziehung überfordert? Na, so direkt will Bürger X das nicht ausdrücken, aber da stimmen zwei-drei Kleinigkeiten nicht.

Das Jugendamt schickt als Reaktion einen Außenmitarbeiter bei der Nachbarin vorbei, um die Privatermittlungen des wachsamen Auges von Bürger X zu komplettieren. Damit das aber überhaupt geschehen kann, muss eine Akte angelegt werden und die Nachbarin ist damit schon aktenkundig.

Der besorgte Bürger ist damit zufrieden, weil er unschuldig geblieben ist – weder hat er direkt beim Jugendamt angerufen, noch war die Rede von missbrauchten Kindern – aber er hat doch etwas bewegt. Ihm geht es darum, wohltemperierte Kontakte zu den Sicherheitorganen zu pflegen und bedrohlich auf die Mitmenschen einzuwirken.

Phänomenologisch ausgedrückt: viele Menschen verhassen sich lieber als dass sie sich verlieben. Manche von ihnen erzeugen bei semi-polizeilichen Organen semantische Turbulenzen, die dann zu realen Turbulenzen werden, also zum Besuch des Jugendamtes bei der Nachbarin. Diese Menschen wollen sich auch mal wieder lebendig fühlen wollen und klingeln dann beim Amt durch.

Sebastian Knöpker