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Im Dosenrestaurant

Auf Rügen betreibt eine Fischkonservenfabrik ein Speiselokal. Dort gibt es Konserven auf den Tisch, bloße Tatsachen aus der Dose, also frisch eingedosten Fisch. Ganz oben auf der Speisekarte: das factum brutum auf dem Teller, der Brathering.

In der Konserve steckt eine große Heiterkeit, die nie so recht zum Durchbruch kommt. Beispiel Ravioli aus der Dose: warum soll sie warm machen, wenn man sie auch kalt essen kann?

Das kommerzielle Potenzial dieser tatsachenorientierten Küche hat auf Sassnitz die Firma Rügenfisch schon vor langer Zeit erkannt und bietet Kartoffelsalat aus dem 10 Kg-Eimer plus Brathering aus der Dose direkt auf den Teller plus Gabel und Serviette inklu an. Das Fischbistro von Rügenfisch will dabei dem Gast das „Rügenfeeling“ vermitteln, d.h. eine Mischung aus ostdeutscher Volksküche und Ernährungsgewohnheiten aus der Hartz IV – Kultur.

Die schwere, kalte Masse zaubert sofort ein Gefühl der Überforderung in den Magen. Wer noch kein Magengeschwür hat, kann sich beim Anblick des plumpen Faktums schon mal in diese Symptomlage hineinfühlen. Antizipation und Restsymptom überwundener Magenbeschwerden bringen einen wunderbaren phänomenologischen Chiasmus zustande. Einfacher ausgedrückt schmeckt das Essen krank.

Die Stärke des Bistros liegt also nicht im Essen, sondern wie bei Spitzenrestaurants in der Tatsache, überhaupt da gewesen zu sein. Später kann man erzählen, auf Rügen in einem wunderbaren Fischrestaurant direkt an der Ostsee gut gegessen zu haben. Hier wird also die Kategorie „Restaurant“ verkauft, ohne dass dieses Produkt von der Fischfabrik hergestellt werden müsste. Die Fabrik bedient sich hier auf geschickte Weise bei den richtigen Restaurants und fädelt sich in eine positiv besetzte Kategorie ein, der es gar nicht angehört.

Das Bistro ist zugleich auch ein Werksverkauf. Die Vitrinen sind mit Konserven zugestapelt, so dass sich eine dichte conservas nudista – Atmosphäre bildet. Man denkt sofort an Dosenöffner. Man beginnt, die Dosen blind zusammenzustellen, verliert dabei die Zeit aus dem Sinn und findet sie wieder, in allen Versionen, in tausend Alternativen. Schade nur, dass auf allen Dosen ein stilisiertes, rotes K aufgedruckt ist – K wie Kaufland.

Sebastian Knöpker