Es macht Spaß, Körpersubstanz von sich abzurubbeln. Die Fußsohle mit einer Raspel zu bearbeiten, taucht den ganzen Fuß in ein Behagen. Die Hornhaut ist langweilig und die Raspel ist es auch, aber zusammen ergeben sie ein Wohlergehen und ein In-sich-Schwingen. In der chinesischen Medizin wurde diese kleine Lust aufgenommen und weiter verfeinert.
Gua sha ist die Kunst, mit einem Marmeladenglasdeckel oder einem chinesischen Prozellanlöffel die eingeölte Haut auf dem Rücken mit so viel Nachdruck entlang zu streichen, dass rote Striemen entstehen. Schlecht ausgeführt ist das nichts anderes als eine leichte Körperverletzung, gut gemacht führt es nicht zu Schmerz, sondern nur zu leichten Druck- und Quetschgefühlen. Aus diesem Gedrücktwerden erhebt sich am Ende einer Gua sha – Serie ein erhebendes Gefühl. Es entsteht ein Wohlergehen der einfachsten Sorte: man freut sich, weil man ist. Genauer fühlt man diese Daseinsfreude dort, wo gewalkt und gepresst worden ist.
Der blutig angelaufene Rücken sieht im Spiegel gar nicht gut aus, kann aber diese Lust an der Freude auch nicht stören. Man spürt sich den Aufstieg, dass man sich eine Lust ist, weil man einen Leib hat. Der Genuss am Sosein geht dabei vom Rücken aus und strahlt auf alles andere aus und gewinnt es für sich. Man mag sich, weil man einen Rücken hat, was man nicht alle Tage von sich sagen kann.
Dazu kommt noch das Gefühl von Reinheit, dass man eher nach einer strengen und erfolgreichen Gewissensprüfung erwarten würde. Die Reinheit, um die es geht, ist das Gefühl, ein unbeschribenes Blatt zu sein, rein von Vergangenheit und Zukunft. Nichts mehr hat eine Form oder ist in einen Inhalt gebracht, es gibt keine Verpflichtungen und Hindernisse und ungeordneten Gedanken. So öffnen sich die klaren Kreise seiner Horizonte und man ist ganz und gar rein.
Es gibt eine umfangreiche Diskussion über die Heilwirkungen von Gua sha. Es ist Teil der Volksheilkunde in China, Vietnam und Indonesien und hebt das Allgemeinbefinden, kann aber keine Krankheit gezielt heilen oder dauerhaft lindern. Der medizinische Wert im engeren Sinn ist gering. Bedeutung erlangt es in der Schmerztherapie, weil es chronisch gewordenen Schmerz unterbrechen und im günstigsten Fall mit dem gewohnheitsmäßigen Schmerz brechen kann.
Gua sha hebt das Abknibbeln und Abrubbeln von alter Haut auf ein neues Niveau. In der Nase zu popeln ist die Basisversion der Lust an der Erleichterung von Körpersubstanz. Es ist mehr eine Gewohnheit. Eine Senkung des Niveaus findet sich im Fingernagelkauen, das eher auf tiefer liegende Probleme hindeutet, als noch eine Freude am Rande zu sein. Gua sha ist die Krone des Abreibens und Quetschens des Körpers. Es findet einen glücklichen Weg zwischen Schmerz, Laschheit und Medizin, ist keines von beiden und platziert zwischen den dreien eine Lust.
Sebastian Knöpker