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Lust am Text

Kinder schnappen oft Begriffe auf, die ihnen bedeutsam erscheinen, aber ihrer Bedeutung nach unklar sind. Was noch leer und fast inhaltslos ist, wird aber vom Kind besonders gerne gebraucht – es hat Lust an abstrakten Begriffen.

Der junge Franz Kafka hörte seinen Vater oft vom Ultimo sprechen, dem Zahltag, der Zahlungsfrist für Kunden seines Vaters. Kafka verstand den Begriff nicht, wohl aber spürte er seine Bedeutsamkeit. Aus der Bedeutsamkeit ergab sich für Kafka auch die Bedeutung von „Ultimo“, nur dass diese ganz leer und inhaltlich unbestimmt blieb, verbunden mit einer bedrohlichen Aura.

Es gibt also einen intellektuellen Hedonismus in der Verbindung von unklarer Bedeutung zu gespürter Bedeutsamkeit. Die Lektüre Heideggers hat so einen ästhetischen Wert. Die Leser verstehen kaum etwas, spüren aber die scheinbare Gewichtigkeit der Worte. Sie verstehen aber mehr als bloß Bahnhof, weil etwas der Bedeutung Fremdes noch hinzukommt, das drängende Empfinden der Bedeutsamkeit.

Heidegger versteht es, seine Leser kleine Kredite aufnehmen zu lassen, Annahmen der Bedeutsamkeit, wo die Bedeutung noch nicht ist. Wie beim Kind, bildet sich dabei die Lust am noch Fremden, aber anders als beim Kind geht es nicht weiter. Der Kredit des Kindes, eine leere Bedeutung zu setzen, die reichlich mit Bedeutsamkeit ausgestattet ist, wird in der Regel auch erfüllt. Kafkas Begriff des Zahltages wurde von ihm ja verstanden, es dauerte nur eine Weile.

Philosophisch betrachtet hat Heidegger einen Unterdruck an Bedeutung an sich; er hält weniger, als er verspricht. Doch kann man seine Texte auch rein ästhetisch lesen, wo die Bezauberung durch das Unverstandene wie beim Gedicht die Wirkung als solche sein soll und gar kein Anspruch gegeben ist, dass die Sprache über sich hinaus führt. Maurice Blanchot, von Heideggers Stil inspiriert, lässt sich so mit Gewinn lesen.

Ein Philosoph, der etwas auf sich hält, kann sich damit nicht zufrieden stellen. Er will natürlich aus dem Stadium der Textlust aus dem Überhang der Bedeutsamkeit gegenüber der Bedeutung wieder herauskommen. Das Ziel ist der Gewinn an Bedeutung. Anders ausgedrückt mag man die Dekadenz (ich weiß etwas, aber was, weiß ich nicht so recht) eine Weile lang, will aber aus ihr dann doch zum Fortschritt aufsteigen.

So ist Meister Eckhart als passionierter Vergewaltiger der Sprache durchaus dekadent – er missbraucht die Grammatik – darin aber zugleich auch avantgardistisch. Beispielsweise meint Eckharts Begriff der geistigen Armut, dass die Fülle des Daseins nicht aus dem heraus stammt, was erscheint (was dem Menschen vom Horizont der Welt her zukommt), sondern aus jenem, was diese Selbstgegegenwart ermöglicht. Auf Deutsch: es ist nicht entscheidend, was ich denke, erlebe, sehe oder höre, da im Vollzug von all dem bereits die Fülle liegt, die dem Erscheinenden dann zuteil wird.

Demnach reicht es vollkommen aus, zu meditieren, um in diesem Nichts durch dessen bloßen Vollzug eine Fülle zu haben, da jene gar nicht von den Inhalten des Lebens abhängig sind. Viele Buddhisten finden daher Meister Eckharts Armutsbegriff sehr interessant. Denn er besagt: in der gesitigen Armut (z.B. Meditation der Leere) findest du Fülle, da alleine der Aktvollzug des Daseins für Intensität sorgt (oder diese dir vorenthält).

Philosophisch betrachtet ist Eckharts Armutsbegriff eine Ökonomie des Daseins, die sich nicht ganz auf den Begriff bringen lässt, da seine Aussage, das Noema wird von der Noesis als Phänomenalität bestimmt, auch nur wieder phänomenologische Hilfsbegriffe sind. Aber gerade in dieser Unterdeckung liegt der Reiz: die Bedeutung wird da, wo sie begrifflich nicht artikuliert werden kann, durch Bedeutsamkeit ergänzt und ergibt so ein Superplus an Bedeutung.

Sebastian Knöpker