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Gesundheit als Geschmacksrichtung

Eine Erkältung ist im Anzug. Ich trinke eine Tasse Tee mit viel Honig und spüre, wie der Honig die Krankheit zurückdrängt und besiegt. Dabei wird die Gesundheit sinnlich erlebt. Gibt es also auch eine Geschmacksrichtung namens Gesundheit?

Gesundheit ist keine Geschmacksrichtung wie sauer oder süß, lässt sich nicht mit der Zunge schmecken, ist aber ein sinnliches Ganzkörpererlebnis. Das gilt auch für den Geschmack der Krankheit: wer eine schlecht gewordene Kohlroulade isst, kann sich beim Grünwerden selbst zusehen, spürt also in Echtzeit, wie die kranke Masse der Roulade zu wirken beginnt und die Verdauung stört.

Was man dann im Mund hat, lässt über Geruch und Geschmack das Kommende so erleben, dass es schon Gegenwart ist. Ja, die Roulade schmeckt so schlecht, das kann das Verdauungsgeschäft nur stören, so das schlechte Gefühl als Schlussfolgerung. Ein Gedanken hierzu braucht es nicht, das Gefühl informiert bereits.

Gesundheit oder Krankheit wird dabei nicht wie das Salzige spezifisch sinnlich geschmeckt, sondern ist ein den Geschmackssinn durchdringendes Gefühl. Genau genommen ist es also kein Geschmack.

Doch ist im Schmecken viel enthalten, was nicht direkt geschmeckt wird, aber unter diesem Sinn firmiert. Schmecken bezeichnet im eigentlichen Sinn die Einheit von Tasten, Riechen und Schmecken, meint also die Synästhesie zwischen diesen dreien. Wenn es gut schmeckt, dann stimmt auch die Textur (wird ertastet) und die Aromen (werden oft gerochen).

Gesundheit oder Krankheit als Geschmackseindruck ist dabei auch so ein Trittbrettfahrer, der nur sinnlich im Sinne eines Gefühls, aber nicht sinnlich im Sinne einer Geschmacksdimension (süß, sauer, bitter etc.) ist. Frischer Granatapfelsaft schmeckt demnach eindeutig gesund, obwohl kein elementarer Geschmack vorliegt.

Die vielen kleinen Stoffwechselprozesse, die der Saft schnell positiv beeinflusst, werden vorweggenommen, wenn der Saft noch im Mund ist. Er vertreibt die Atonie des Magens und sorgt für ein erfreuliches Magengefühl, so für Weite statt Enge und für Leichtigkeit statt Schwere. Er kurbelt den Lebensgeist der Verdauung und des Stoffwechsels an, was ohne Umschweife zum Gefühl der Gesundheit aufgewertet wird.

Diese kleinen Unsauberkeiten, aus eigentlich unbedeutenden Einzelheiten eine neue Dimension zu machen, lassen sich beim Schmecken vom Krankheit als Krankwerden leichter verwirklichen. Bei ranzigem Fett etwa, zieht sich der Magen schon zusammen, wenn das Fett gerade einmal gerochen wird und noch nicht einmal im Mund ist. Die vielen kleinen Unannehmlichkeiten, die dabei vorweggenommen werden, bilden dann den Eindruck der Krankheit als Geschmack. Anders ausgedrückt sind es eine Reihe vorweggenomener Unlüste, die den Geschmack des Kranken hervorbringen.

Manukahonig, Kim Chi und Granatapfelsaft haben also jeweils eine Serie kleiner Lüste zur Grundlage, die nicht vom kranken Körper zum Gesunden führen, wohl aber vom atonischen Körper, also vom Leibgefühl ohne Saft und Kraft, zum wiedererwachenden Leib. Die leibliche Selbststeigerung, die durch einen Löffel Manukahonig hervorgebracht wird, nutzt demnach den Übergang vom halb vergessenen Leibgefühl, das so vor sich hinlämmert, zu der gesteigerten Version seiner selbst. Es handelt sich also nicht um die Strecke „krank zu gesund“, die zum Geschmackserlebnis der Gesundheit führt, sondern um die Wiedererweckung eines versandeten Leibgefühls.

Sebastian Knöpker