Seit einigen Tagen steht Nachbars Hund immer an der Grundstückgrenze, bellt oder schnauft, wenn er mich sieht, und ist allgemein unzufrieden, dass ich da bin. Der Hund ist noch ganz jung, aber im bornierten Geist seiner Besitzerin erzogen. Daher ist es kein Wesen, das schon lange gern ein Kind kennen würde, das ab und zu mit ihm schnell ums Haus läuft, und mit dem er eine Reihe einfacher, kleiner Freuden erleben könnte.
Diesem Hund wurde eine Welt eingebleut, deren Horizont in sich selbst steckt, und daher eigentlich an der Grundstücksgrenze zu Ende sein müsste, es aber nicht ist, was ihn entsprechend verärgert.
Der Hund ist einzig und allein das Produkt von Frauchen – ihr Werk, auf das alle sinnlosen Beschränkungen ihres Geistes übergegangen sind, was ihr ohne Zweifel ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit bereitet. Wenn es ums Einkreisen und Verknappen der Welt nach ihren Vorstellungen geht, ist sie wirklich sehr motiviert.
Die Beschaffenheit des Hundes ist eine innere Eigenschaft und kann sich genauso gut in menschlicher wie in tierischer Gestalt zeigen. Das gilt auch für Nachbars Hund, der gerne seinem Hüteinstinkt folgen will und darin Macht erlebt.
Als Haustier hat so ein Hund aber wenig Möglichkeiten, seiner Lebensaufgabe nachzugehen. Deswegen geht Frauchen manchmal mit ihrem Hund zum Schafehüten. Es ist ein Urlaub für den Hund wie für den Hundehalter.
Der Hund geht dabei seinem Jagdinstinkt nach, der über die Jahrhunderte durch Zucht ein wenig verfeinert worden ist. Der Beutetrieb wird zur großen Lust, die Schafe zusammenzutreiben und zu kujonieren. Obwohl das anstrengende Arbeit für den Hund ist, fühlt er darin eine große Leichtigkeit. Je mehr Widerstand, desto größer ist seine Energie und seine Lust, die Schafe doch noch auf die Reihe zu bekommen. Der Hund hat eine Urlust am Drangsalieren.
Hühner kommen dafür nicht in Frage, weil sie bei Gefahr in alle Richtungen davonrennen und der Hund so keine Herde zusammenbekommt. Wenn er zwei Hühner zusammen gedrängt hat und sich um die anderen kümmert, stiebt schon wieder alles auseinander.
Und bei Pferden läuft es oft beim Hund selbst in die falsche Richtung, der dann oft das falsche Pferd in die falsche Richtung jagt. Richtig gut kommt der Herdeninstinkt mit dem Jagdtrieb des Hundes erst bei den Schafen zum Tragen. Sicher, auch hier gibt es Widerborste, die sich nicht einschüchtern lassen oder dem Hund das Hinterteil zuwenden, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. Aber der Hund lernt damit umzugehen.
Auch das Frauchen durchfreut es, wenn sie sieht, wie ihr Hund in der Arbeit aufgeht. Es ist eine sehr entspannte Freude, weil sie nur daneben steht und nichts weiter machen muss. Sie freut sich an der Freude des Hundes und ist an einem Platz, an dem die Welt sich gut um sie herum bewegen kann.
Phänomenologisch gesprochen ist Begrenzung, Bornierung und Drangsalierung ein probates Mittel, Macht auszuüben und darin Freud an ihr zu erleben. So außerordentlich interessant es ist, ein winziges Stück Leben zu besitzen, so sehr macht es Spaß, damit den Radius anderer Lebewesen zu begrenzen.
Sebastian Knöpker