Menü Schließen

Phänomenologie des Abfärbens

Wird der Hundebesitzer so wie sein Hund, färbt er auf ihn ab. Abfärben heißt dabei, Eigenschaften von sich an andere abzugeben, diese Qualitäten aber doch noch auf bestimmte Weise für sich zu behalten. Im Verhältnis Mensch zu Hund ist es oft so, dass es zu einer Überkreuzbeteiligung kommt: der Mensch färbt auf den Hund und dieser auf den Menschen ab.

Ein rotes Handtuch macht sich auf den Weg der Selbstausbreitung, wird es zusammen mit weißen T-Shirts gewaschen. Die weiße Wäsche ist dann rosa und besitzt eine Eigenschaft, deren Herkunft unmittelbar als Abfärbung aufgefasst wird. Die Rede ist also von einer Übertragung, deren Genealogie nicht einfach verschwindet, sondern mitpräsent bleibt.

Dieses Spiel mit der Gegenstandsidentität findet sich bei der marokkanischen Salzzitrone. Die Zitrone wird in Salzwasser eingelegt und heraus kommt eine Verschmelzung einzelner Eigenschaften von Salz und Zitrone. Salzig und sauer bilden eine Einheit, aus der man die beiden Zutaten, Salz und Zitrone, noch deutlich herausschmeckt.

Das geschmackliche Prinzip der Abfärbung, der Austausch einzelner Eigenschaften mit dem Ziel der aromatischen Erhöhung, findet sich auch bei Salzpflaumen (Umeboshi) oder in der persischen Küche, in der Granatapfelsaft, Rhabarber und Salz aufeinander abfärben.

Gegeben sei also ein Ding X mit bestimmten Eigenschaften. Es gibt von sich einige Eigenschaften an einen anderen Gegenstand ab, ohne dabei die Identität des Empfängers aufzuheben. Nasse Lederhandschuhe in der Handtasche, die zusammen mit einer Banane zwei Tage im Binnenklima der Tasche bleiben, ergeben so eine Banane, die nach Leder schmeckt. Das Ergebnis ist abschreckend, gastrosophisch unbrauchbar.

Beim Hund, der so wie sein Lebensmensch wird, ist der Effekt dagegen komisch (für Außenstehende). Dieselbe Komik gibt es beim Pärchen, das sich im Partnerlook zeigt. Tragen beide dieselben Jogginghosen und Trainingsjacken ist die Übertragung allerdings etwas komplexer: hier kommen zwei Individuen zusammen, die eine Zweisamkeit bilden. Ausgehend von diesem Wir überträgt sich eine Eigenschaft des Miteinanders auf die Glieder des Wir. Das geschieht oft nivellierend, doch zeigt es die Möglichkeit auf, wie eine Zwei, die zur Eins wird, als Eins auf die beiden Einzelglieder zurückwirken kann.

Abfärben bezeichnet die Phänomenologie, Gegenstände mit einem Kreis bestimmter Qualitäten untereinander in den Kommerz treten zu lassen, bestimmte Eigenschaften abzugeben, diese aber dennoch in der ursprünglichen Identität zu bewahren. Dadurch ergibt sich eine undurchschaubare Anzahl an neuen Gegenständen. So bleibt es nicht bei abzählbar vielen Gegenständen, da durch die Tendenz zum Abfärben die Kombinationen der Gegenstandbildung potenziert wird.

Sebastian Knöpker