Frage an den Phänomenologen: geht meinem Freund etwas gegen den Strich, beschwert er sich nicht. Er wird bloß langsamer. Frage ich ihn dann, was er gerne hätte, antwortet er nicht und wird noch langsamer. Wie ist diese Slowmotion zu verstehen?
Das Vorgehen ist bekannt und heißt auf Französisch opération escargot. Auf der Autobahn drosseln dabei protestierende Autofahrer die Geschwindigkeit, behindern den Verkehr und machen so auf sich aufmerksam. Allerdings nennen sie ihre Forderung (voller Kühlschrank, billiger Sprit) und sagen auch, von wem sie das alles haben wollen (vom französischen Staat).
Anders sieht es bei der griechischen Eisenbahn OSE aus, wo die Eisenbahner sich grundsätzlich sehr langsam bewegen und die Züge in der Regel dem Fahrplan hinterherfahren. Die opération escargot hat hier keine tiefere Bedeutung. Sie ist einfach Teil der Arbeitskultur. Bei OSE-Angestellten, die schon lange dabei sind, wird die Tempoverschleppung sogar als Grundbedingung der Existenz angesehen.
In engen zwischenmenschlichen Beziehungen dominiert dagegen oft der Typus, mit der Verlangsamung eine uneigentliche Kommunikation zu vollziehen. Der Andere soll nicht nur das machen, was der Bremser gerne will, er soll es ihm auch aus dem Kopf herausraten, was das ist. Bremsen erspart so nicht nur die direkte Kommunikation, sondern auch das eigene Wollen in all seiner Klarheit. Es reicht, Änderungen zu wollen, ohne genau zu wissen, was geändert werden soll.
Manchmal geht es auch darum, für zukünftige Forderungen bereits atmosphärische Eintrübungen als späteres Faustpfand vorzunehmen. So lässt sich der Druck aufbauen, den man zur Durchsetzung der Außenpolitik braucht.
Ganz allgemein erspart sich der Bremser durch seine opération escargot die Notwendigkeit, sich zu erklären. Dadurch etabliert er ein Ungleichgewicht, denn während der Ausgebremste sprachlich nach dem Grund der Entschleunigung fragt und so explizit wird, kann der Bremser so tun, als sei alles in Ordnung.
Sebastian Knöpker