Nicht alle Leute fahren zum Flughafen, um von dort wegzufliegen. Manche bleiben auch im Flughafenhotel für einige Tage vor Ort. Der Grund? Die Probleme des Alltags sind derart fest mit dem Wohnort verbunden, das man ihnen durch eine kleine Eskapade entkommen kann.
Da die Probleme des eigenen Lebens immer eine Zeit brauchen, um auch am neuen Ort anzukommen, kann man sie so auf Abstand halten. Man muss nur den Ort wechseln. Dabei ist die geographische Entfernung nicht entscheidend, wie die Evasion zum Flughafen zeigt.
Bereits die Anfahrt an einen Flughafen hilft bei der Distanzierung sehr. Denn da gibt es keinen Wald und keine Wiesen mehr, sondern nurmehr schraffierte Teilstücke zwischen den Tangenten und Autobahnzubringern. Da man nicht auf direktem Weg zum Flughafen fahren kann und stattdessen achtmal die Fahrtrichtung wechseln muss, kommt man an einen Ort, der angenehm desorientiert auf einer Insel liegt.
Wer also im Zentrum von Hannover wohnt, hat was davon, zum Flughafen fünf Kilometer in Langenhagen zu fahren, weil er bereits auf dieser kurzen Strecke den Bezug zur Heimat verliert. Und da ist ja gewollt, damit die Probleme dabei auf der Strecke bleiben. Die Raumplanung als umsichtige Landschaftszerstückelung beim Bau dieses Flughafens macht also Sinn.
Am Flughafen Hannover angekommen kann man gleich in die Tiefgarage des Maritim fahren und einchecken. Von den Zimmern aus hat man eine gute Sicht auf die Startbahn und auf den Flughafenteich; eintönige Attraktionen. Aber es geht ja darum, eine Transitzone erreicht zu haben, in dem man von der Schwere der Alltagsprobleme entlastet ist.
Dieser Ort, an dem die herkömmlichen Probleme nicht gelten, lässt sich noch steigern, geht man in die Hotelbar. Die Menschen dort sind ebenfalls von ihren Problemtiteln entfernt, so dass eine gelassene Atmosphäre herrscht. Das sieht man mal: sind lauter Leute auf einen Haufen, die nicht miteinander reden, kann das doch sehr angenehm sein, weil sich alle in Entfernung zu ihren Problemen befinden, die noch nicht nachgekommen sind.
Man sucht nicht immer Anschluss oder Ansprache. Es reicht schon, wenn man eine Gemeinschaft der Menschen bildet, deren Probleme nicht an dem Ort sind, an dem man sich gerade befindet, weil sie noch zu diesem Ort hin unterwegs sind. Was hier Atmosphäre genannt wird, meint die Entfernung des Wohnsitzes und den daran fest gebundenen Probleme zum aktuellen Ort. Diese Distanz ergibt das atmosphärische Plus.
Sebastian Knöpker