Im Supermarkt kann man manchmal kleine Kinder beobachten, die Bonbontüten von außen ablecken, um auf den Geschmack der Bonbons zu schließen. Sie haben dabei eindeutig das falsche Kriterium gewählt, aber so sehr die Mutter auch auf das Kind erzieherisch einwirkt: es beharrt auf seinem untauglichen Maßstab.
So ist es auch oft bei philosophieinteressierten Menschen. Sie akzeptieren nur die Art Philosophie, die ihrem bisherigen Philosophiekonsum entspricht. Sie gehen also von ihrer persönlichen Philosophiegeschichte aus, von der Summe der Bücher und Vorträge über Philosophie, die sie bislang gelesen oder gehört haben.
Die Amateure der Philosophie lassen sich nicht so sehr von der Ideengeschichte als solcher leiten, sondern von ihrer eigenen Biographie der Begegnungen mit Philosophie. Das verführt in vielen Fällen zu der orthodoxen Ansicht, demnach nur das Philosophie ist, was man schon kennt.
Es ist so wie beim redundanten Schnitzelesser, der bloß das gerne isst, was er schon gegessen hat. Die eigene Essbiographie wird dadurch zu einem begrenzenden Kriterium, da so nur das auf den Teller kommt, was schon oft auf dem Teller war. Anders ausgedrückt schließt eine gewisse Anzahl von Erfahrungen neue Erfahrungen aus, weil das Bekannte sich zur Norm erhebt und das Unbekannte ausschließt.
Solche Leute will nun niemand im Publikum sitzen haben; doch wie sieht die Alternative aus? Sie besteht im Anzapfen der eigenen Erfahrung, das abstrakte Denkfiguren zum individuellen Leben erweckt werden können. Philosophie lässt sich durch das Anbohren der eigenen Lebenserfahrung besser verstehen als durch die Philosophiegeschichte oder die Geschichte der von einem selbst konsumierten Philosophie. Das Flüssigmachen des Abstrakten durch den Rückgriff auf die eigenen Lebensgeschichte ist auch ein historisches Verfahren, das auf Verdichtung all der kleinen Momente des Alltags beruht, die in der Masse doch eine große Bedeutung haben.
Beispiel: der Philosoph redet über die These, dass die Summe der Einzelteile mehr ist als die bloße Addition dieser ist und nennt dies Emergenz. Was das heißt, kann sich jeder selbst erschließen, wenn er daran denkt, drei kleine unschöne Erlebnisse zu haben (schlecht sitzende Unterhose, verlorener Fünfeuroschein und Hundekot unterm Schuh). Welche Summe bilden diese drei: eine, die viel mehr bedeutet als die bloße Addition der drei Kleinigkeiten. – Auf diese Weise nutzt man die eigene Lebensgeschichte, um den abstrakten Begriff der Emergenz zu verstehen.
Was also der Philosoph sagt, ist eine Sache. Genauso wichtig wie seine Qualität ist die des Publikums. Der Philosophiekonsument muss erst noch ein wenig investieren, um die Philosophie zu verwirklichen.
Sebastian Knöpker