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Affalterbach

Affalterbach, ich prüfe deinen Lokalton. Du bist auf schwäbische Weise seelisch gerahmt. Obszön, so wie in der Stuttgarter Region üblich, thront auf dem Berg über dir auch keine Burg aus dem Mittelalter, sondern eine Fabrik von Daimler-Benz.

Affalterbach ist ein Städtchen an der Stuttgarter Peripherie. Auch in Affalterbach gibt es morgens einzelne, zu früh erwachte Füchse, vor allem aber zu viele zu stark getunte Mercedes-Benz Autos. Diese werden vor Ort produziert und von Mitarbeitern mit kleinen Unebenheiten in ihrer Triebstruktur übergriffig und zur Gefährdung der sonstigen Allgemeinheit gefahren.

Man muss sagen, dass Mercedes (AMG) einen ungeheuren Gesichtsverbrauch hat, denn fast alle Mitarbeiter haben feldgraue Gesichter. Ihre Gesichtszüge krampfen sich regelmäßig zusammen, so wie anorganische Masse, die zu leben beginnt.

Wer bei Mercedes in Affalterbach arbeitet, weiß offenkundig nie, ob er Hunger hat oder nicht. Denn die Leute dort essen schlecht, schlampig, nie genug und so im Vorübergehen oder ausnahmsweise auch einmal im Stehen. Ansonsten wird von Red Bull und nie zu Ende gerauchten Zigaretten gelebt. Resultat: die Mitarbeiter von Mercedes können es leicht mit den froschartigen Chemiegesichtern von BASF in Ludwigshafen aufnehmen. Beide Belegschaften haben sich in einem Leben in der dritten Person Singular eingerichtet.

Am Ortsrand von Affalterbach gibt es eine bergbauliche Hinterlassenschaft, eine Mülldeponie. Die Deponie auf dem „Ameisenhau“ wurde bereits 1989 stillgelegt. Die breit ausgebaute Straße zur Kippe, eine Sackgasse, wird aber wie eh und je von den Ortsansässigen befahren, als würde sie irgendwie hinführen. So mit ganz ernsten Autofahrergesichtern, in der Überzeugung, wichtige Dinge zu tun oder gleich zur Arbeit zu fahren.

Der Berg atmet und stellt so Fragen zur Ethik des Bergbaus. Also gut, das Methan wird ja aufgefangen und nebenan in einer Gärtnerei verfeuert. Aber was hat Affalterbach denn da? Ein Berg, der mal da, dann weg war, um dann wieder verfüllt zu werden, um bis in seine fernere Zukunft immer wieder in seinem Inneren herumzufummeln, weil seine innere Chemie nicht stimmt. Die Halde weist eine Struktur auf, die in sich selbst lebt, ganz ohne die Beihilfe der bekannten Formeln, ohne greifbare Mittel.

Schaut man sich in der Stuttgarter Region genauer um, kann Affalterbach mit anderen Städten nicht ganz mithalten. In 71701 Schwieberdingen ist die Fabrik über der Stadt noch viel größer und die dortige Deponie ebenso. Dort rumort es auf wie unter dem Berg, aber eben noch in einer anderen Dimension.

Sebastian Knöpker