Die Katze in der Wohnung ist das Leben der Möbel. Das Bruchvolk ist entsprechend das Leben der Stadtmöbel. Denn die Quartalssäufer und Pegeltrinker ballen sich im öffentlichen Raum auf der Parkbank und halten dort ihr Parlament ab.
Das Bruchvolk scheint immer auf der letzten Stufe der bürgerlichen Existenz zu sein, doch rutscht selten einer noch weiter ab. Tatsächlich führen sie meist eine stabile Existenz, von der aus sie den Abgrund wohl gut sehen können, von einem Absturz aber weit entfernt sind. Erst die Phantasie bürgerlicher Existenzen macht aus ihnen wohnungslos-richtungslose Menschen, die ständig saufen.
Das Bruchvolk von der Säuferbank ist so wie die Bauarbeiter zu verstehen, die zwar acht Stunden auf der Baustelle sind, aber kaum die ganze Zeit lang arbeiten. So wie der Bauarbeiter oft nur die Schaufel festhält, so hält auch der Bruchmensch manchmal stundenlang eine Bierflasche in der Hand. Alkohol zur Verfügung haben heißt keineswegs, auch ständig davon zu trinken.
Die meiste Zeit trinken und rauchen sie nicht, sondern bilden eine „echte Metapher“. Schopenhauer spricht von den Stachelschweinen, die einander wärmen wollen, sich dabei aber auch beständig pieksen. Es geht hin und her, Nähe wird von Distanz abgelöst und es bildet sich eine dreidimensional unübersehbare asozial-soziale Gesellschaft. Das Urbild Schopenhauers wird vom Bruchvolk fast 1:1 umgesetzt und ist als Metapher so nahe an der Wirklichkeit, Hermeneutik als beschreibende Phänomenologie zu betreiben.
Wer wem gestern im Suff 50 Euro geliehen hat, ob der eine dem anderen oder gerade andersherum, wird also wie bei den Stachelschweinen ausgehandelt. Und wenn die Polizeistreife vorbei kommt, um den Streit zu schlichten, ist er schon wieder vergessen, bis er später als schwerer Groll wieder aufzieht.
Das soziale Leben spielt sich im Schweinezyklus von plötzlicher Freundschaft, Befreundungen, Abwendungen, Annäherungen und Fraktionierungen ab. Das Bruchvolk macht also den ganzen nichts anderes als eine Familienaufstellungen wie bei Bert Hellinger. Der tiefere Grund warum die Familienaufstellung psychotherapeutisch nichts bewirkt, lässt sich auf der Säuferbank auch unmittelbar beobachten. Das Bruchvolk lebt den sozialen Bruch, löst ihn aber nicht. Die Familienaufstellung ist ebenso eine Versammlung von Bruchvolk, die Probleme nicht löst, sondern räumlich-sozial in Szene setzt.
Sebastian Knöpker