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Das Irgendetwas in der Phänomenologie

Übersieht ein Autofahrer einen Radfahrer und reagiert erst im letzten Moment auf ihn, hasst er ihn instinktiv. Darin steckt die Vorsichtsmaßnahme, das Unbekannte als das Bekannt-Unbekannte abzuwehren. Bevor der Autofahrer, weiß, was los ist, weiß er schon, was los ist.

Das Irgendwas ist also nicht so unbestimmt wie es scheint. Es hat bereits Tendenzen, bevor es zu einem gewussten Gegenstand wird. Das Etwas ist ein abstrakter Gegenstand mit erstaunlich konkreten Protoeigenschaften.

Klassisches Beispiel für die Setzung eines solchen Erstlingsgegenstandes ist der beleidigte Mensch, der das, was er in einem Gespräch nicht versteht, automatisch als Beleidigung verbucht. Er erspart sich so, Näheres vom Irgendwas zu wissen, weiß aber durch die Erstauststattung des Irgendwas genug, um es als Beleidigung hinwegzuverstehen.

Das Irgendwas als allgemeiner Gegenstand ist also von vorneherein mit Setzungen ausgestattet, die den Übergang vom Unbekannten in das Bekannte vorbereiten. Wo das in zu geringem Maße der Fall ist, wie etwa beim abstrakten Kunstwerk, wird dem Irgendwas eine zusätzliche Erstbestimmung mit auf dem Weg gegeben, nämlich das Kunstmuseum als Ort der Aufbewahrung der Kunst.

Befindet sich das Irgendetwas als Kunstwerk im Museum für Kunst, weiß der unsichere Betrachter damit, dass das Irgendwas, das er da gerade sieht immerhin Kunst sein muss. Inkongruente Gegenstände wie eine überdimensionale Erdnuss aus Polyethylen, aus der Insektenmandibeln ragen, werden auf diese Weise zum Irgendetwas des Kunstgegenstandes. Was da ist, bleibt unklar, aber es ist ein Unbekanntes in der Kategorie der Kunst. Derselbe Gegenstand auf dem Dachboden eines Privathauses wäre ein anderes Irgendetwas.

Allgemein gilt, dass die Ausstattung des Irgendwas mit Protoeigenschaften wesentlich die individuelle Klasse eines Menschen ausmacht. Der hassende Autofahrer ist so wie die beleidigte Leberwurst niveaulos, da unabhängig von den noch zu entdeckende Eigenschaften des Unbestimmten sein Schicksal als etwa Negatives bereits festgelegt ist.

Niveau zeigt sich hingegen dort, wo das Unbekannte mit konstruktiven Zeigern in die Leere aufgefasst wird. Solche leere Zeiger lassen sich beim Kleinkind beobachten, das einen Gegenstand, dessen Funktion es nicht versteht und deswegen sonst anbeißt oder auf den Boden wirft, einmal aufmerksam beobachtet, um darin ästhetische Qualitäten der Abschattung von der Farbe Rot entdeckt.

Das Rot ist dann nicht mehr ein unselbstständiges Moment eines Apfels, sondern der Apfel unselbstständiges Irgendwas des Rots und seiner Abschattungen. Aus einem Irgendetwas wird so ein protoästhetischer Gegenstand, der eine Niveauhebung auch für Außenstehende deutlich macht. Denn das Kleinkind hält dann nicht still, weil es muss, sondern weil es sich in der Entdeckung des Etwas im Irgendetwas zu Konzentration und Freude über das Neue findet.

Sebastian Knöpker