Der Gebrauchtwagenhändler kennt seinen Kunden nicht mehr, sobald der Deal abgeschlossen ist. Was gerade eben war, ist gefühlt schon Ewigkeiten her und nicht mehr aktuell. Der Distanzierungsschub besteht also darin, das soeben Vergangene in weite Ferne zu rücken: was vor fünf Minuten war, das war vor 500 Jahren.
Der Distanzierungsschub besteht in der Produktion fernster Vergangenheit: er ruckt das Aktuelle in das Unvordenkliche. Liebesgeschichten unterliegen oft so einem Schub, in dem der Liebende durchaus den Geliebten nicht mehr kennt, aber mal kannte – ja, ja, vor langer Zeit.
Auch das Geschichtsbewusstsein kann auf diese Weise plötzlich altern, denkt man an die Akte Corona. Viele Leute empfinden die Corona-Zeit als unendlich weit entfernt. Und das Einzige, was daran noch erinnert, sind die Hamsterkäufe im Keller, die langsam schrumpeln, porös, wellig und schimmelig werden. Doch auch diese Dinge sind aus dem Bewusstsein geschwunden.
Die vergangene Corona-Hysterie geht bei Vielen mit einer „War was? – Haltung“ einher, um die käsigen Gefühle der Überreaktion zu kaschieren. Besser als eine Erklärung für das eigene Verhalten ist es, gleich die ganze Zeit zu verrücken, sodass sie außer Reichweite gerät. Da ein kollektives Interesse der Verrückung besteht, funktioniert das auch gut.
Konstruktiver ist der Distanzierungsschub beim Heranwachsenden. Er muss sich dann und wann von alten Gewohnheiten und Vorlieben ruckartig befreien, um sich entwickeln zu können. Entwicklung funktioniert manchmal nur durch rigides Außerkraftsetzen des bislang Gültigen und verträgt keinen langsamen Übergang.
Allerdings kann auf diese Weise auch der eigene Vater oder die Mutter distanziert werden. Die Eltern wirken für den jungen Menschen dann nur noch lästig. Er hat sie schon abgehakt, aber sie rufen immer wieder an, stellen Fragen und schicken Geld. Anders ausgedrückt: die vollendete Vergangenheit will sich wieder in die Gegenwart bringen, will etwas erzwingen, was der Heranwachsende eben schon längst abgelegt hat.
Der umgekehrte Fall der Distanzierung ist die Bildung einer schönen Nähe des lange Vergangenen. Wer im Leben einmal verliebt gewesen ist, vor dreißig Jahren, der kann die Liebe als etwas Wärmendes in sich bewahren. Gerade weil die Liebe weit entfernt ist und vielleicht nie wieder kommt, bleibt sie in dauernder Nähe.
Was einmal war, kann also erst vergessen werden, um dann irgendwann einen Nahbarkeitsschub zu erleben. Oft gibt es diesen Effekt nach einer Reise, bei der eine erfreuliche Nähe zu einem Ort gespürt wird, wo man einmal für kurze Zeit war. Auch wenn man nie wieder zu diesem Ort zurückkehrt, bewahrt man sich eine lebendige Nähe zu ihm, also nicht bloß eine abstrakte Vorliebe.
Davon profiziert auch die Philosophie. Es gibt viele Menschen, die einmal mit ihr in Kontakt kamen, dann aber den Bezug zu ihr verloren, um doch eine schöne Nähe zu ihr bewahrt zu haben. Es handelt sich dabei um eine positive Form der Nostalgie, bei der nicht der Verlust im Vordergrund steht, sondern die Nähe zum Vergangenen als dauernder Gewinn.
Sebastian Knöpker