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Erdmannhausen

Erdmannhausen ist ein Städtchen am Rande Stuttgarts und in seiner einzigartigen Nachlässigkeit zwanglos. Denn Erdmannhausens Ortskern ist Ergebnis schwäbischer Baulust, Gebäude aus Resten, Krümeln und nachträglich verdichtetem Staub zu bauen.

Historische Bausubstanz bedeutet nicht immer, uralte Gemäuer und Fachwerkhäuser vor sich zu haben. Erdmannhausen ist auf andere Weise historisch wertvoll: hier wurden abgebrauchte und erschöpfte Ziegel, Balken und Regenrinnen so lange wiederverwertet, dass etwas Unverlierbares entstand.

Gemeint sind nicht so sehr die durch extremes Recycling mürbe gewordenen Baumaterialien, sondern die schwäbische Art zu wirtschaften. Die Schwaben stellen ihren Besitz in den Dienst des ewigen Herumwerkelns. Alles wird dazu gebraucht, wozu es noch gebraucht werden kann. Der schwäbische Arbeitstag ist so eine einzige schlurfende Bewegung, in der das Schaffen nie ganz aussetzt, deswegen aber die Dinge auch oft nicht zu gedacht und gebracht werden.

Seit 1983 wird der Ortskern Erdmannhausens saniert. Eine lange Zeit, doch widersetzt sich bei den erdfrohen Bewohnern dagegen etwas. Die Erdmänner haben eine andere Vorstellung von einer lebendigen Stadt. Sie wollen erst einmal die äußere Erscheinung ihrer Häuser vollständig durcharbeiten, sodass nicht Leeres und Unbedeutendes bleibt und eine durchgreifende Lebendigkeit entsteht. Ziel sind dauernde Baustellen, die so lange Bestand haben, bis das Neue bereits das Alte ist, wieder renoviert werden muss, um es durch Altbestände aus vorherigen Bauvorhaben weiter verbessern zu können.

Auf Erdmann besteht nicht nur aus alten Bauernhöfen, in denen im Erdgeschoss das Vieh steht, damit oben drüber die Menschen wohnen. Die Neubaugebiete sind sogar ganz anders gebaut und wirken nach Anbruch der Dunkelheit wie hellerleuchtete Laternen, die unverstellt häusliche Szenen bieten, geht man als Fußgänger daran vorbei.

Aber die innere Stadt wird das Unordentliche nicht los: hier bleibt alles vertüftelt und nichts will neu erfunden, sondern zu Ende gebraucht werden. Sehenswert im klassischen Sinne ist Erdmannhausens Kern nicht, aber doch eine Sehenswürdigkeit. Denn man spürt hier das intensive Eingreifen der Vergangenheit in die Gegenwart. Anders als im nahen Ludwigsburg mit seinem Residenzschloss, wirkt Erdmannhausen nicht schön, aber tatsächlich alt. Ludwigsburg hingegen ist schön, wirkt aber nicht alt. Erdmannhausen – hier ist man noch so!

Sebastian Knöpker