Im Büro: der Kollege baut ordentlich Druck auf, muss Niesen, kommt dann aber nicht zum Schuss. Das wirkt auf mich als Betrachter leiblich enttäuschend. Denn ich habe mich in ihn mit hineinversetzt, ihn in mich aufgenommen und eingeleibt.
Niesen ist demnach ein indiskreter und keineswegs unschuldiger Vorgang. Man erweckt eine leibliche Erwartung beim Mitmenschen, die ihm unter die Haut geht.
Dasselbe hat man beim Brechen: muss der Mitmensch kotzen und konvulsiert, ohne sich übergeben zu können, geht man eben leiblich mit und spürt eine Enttäuschung, dass der Druck sich nicht entladen konnte.
Die Einleibung schwankt dabei zwischen der Aufnahme des Fremden in das eigenleibliche Spüren und der Entäußerung in das Andere. Wie oft muss Hitler sich nicht in den übergroßen Nazibauten Speer als verlorener Hänfling verloren vorgekommen sein? Er, der kleine Mann in mächtig-gewaltigen Zimmerfluchten konnte diese nicht in sich aufnehmen, sondern verlor sich in ihnen.
In diesen Momenten kannte er schon Zweifel, da sie sich leiblich in ihn eingeschlichen haben. Keine noch so feste Ideologie konnte dem widerstehen, da die Leiblichkeit einen Maßstab im Äußeren setzte, der die Dimension des eigenen Körpers relativierte.
Immerhin blieb das zurückgesetzte Ego insofern intakt, als das es sich noch depotenziert fühlen kann. Denn auch der Subjektpol kann sich im Eingeleibten verlieren, so dass es als Selbstverlust zu einem anonymen Anhängsel des Anderen und Fremden wird.
Etwas anderes liegt vor, wenn ein Mitmensch die Komfortzone verlässt, z.B. auf einem Stuhl sitzt und dabei die prall gefüllten Einkaufstüten nicht absetzt. Die Anstrengung, die Tüten hoch zu halten, überträgt sich dann auf den Betrachter, der selbst ankrampft und einen Teil des Gewichtes mitträgt.
Dieser Fall zeigt gut, dass die Einleibung nicht den Leib des Anderen direkt spüren lässt, sondern im Aufbau einer Eigenleiblichkeit mit bestimmten affektiven Charakteren besteht. Nicht der Andere affiziert und diktiert, was mit dem eigene Leib geschieht, sondern das leibliche Selbst diktiert dem wachen Ich, was sich abspielt.
Das Andere ist demnach nicht der Andere, sondern das Andere im Subjekt, welches einleibt. Man unterscheidet das im Alltag aber nicht, so dass es scheint, als wäre der Andere direkt eine ungebetene Manifestation im Eigenen. Dieses Eigene kann sich dann zum Anderen verhalten, also sich in diesem verlieren oder wie im Falle des unbequem sitzenden Mitmenschen das Unkomfortable an ihm in sich spüren.
Aktivität und Passivität können sich aber auch so treffen, etwas aktiv auszulösen, dass dann passiv gespürt und eingeleibt wird. Das ist dann der Fall, den Stöpsel eines Teiches zu ziehen (Aktivität), so dass dieser ausläuft und das Weglaufen des Wassers dann leiblich gespürt wird (Passivität).
Die Sendung mit der Maus spielt diesen Fall in sehr vielen Varianten durch, wo die Maus je nachdem aktiv oder unabsichtlich den Stöpsel zieht und entsprechend das ungehinderte Ablaufen des Wassers leiblich-einleibend an sich empfindet. Wer Interesse an solchen Empfindungen hat, kann sich an den gestauten Gewässern seiner Umgebung daran versuchen. Der Wasserablauf zeigt sich dann als dynamisch eingeleibter Vorgang im eigenen Selbst.
Sebastian Knöpker