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Phänomenologie der Musik: etwas wert sein

Musik hat dann einen Wert, wenn sie beim Hören spüren lässt, dass man etwas wert ist oder sein könnte, so Schopenhauer. Dabei ist der Konjunktiv die wertvollere Reaktion. Denn sie vermittelt einen sinnlichen Eindruck, von dem, was man noch nicht ist, aber werden könnte.

Die Matthäuspassion von J.S. Bach kann so beim Hören angenehme Gefühle der Demut auslösen und den Wert der Demut spüren lassen. Fühlt der Hörer dann abstandslos die Demut in sich, so hat er einen Wert, der zu viel verspricht. Besser ist es, wenn er spürt, dass er demütig sein könnte, indem er es beim Musikhören bereits ist.

Der Unterschied ist gewaltig, denn wenn ich glücklich verliebt bin und deswegen überzeugt bin, zur Liebe nicht nur fähig zu sein, sondern diesen Wert schon sicher zu besitzen, wird die Liebe bald auseinander bröckeln. Hier fehlt der Konjunktiv, der mir besagt, dass das, was ich gerade habe, nur ein Hinweis auf das ist, was ich prinzipiell wert sein könnte. Das erzeugt die Demut, die der Mensch braucht, um auch dauerhaft verliebt zu sein.

Eklatant ist diese Differenz beim Erleben von Macht und unbegrenzter Kraft durch Musik. Wer hier meint, er sei die Macht selbst, hat eben nur den Augenblick eines Kraftmomentes, der nichts hinterlässt. Der konjunktivische Hörer hat demgegenüber den Vorteil, ein Bewusstsein von dem mitzunehmen, was er an Macht in sich empfinden kann. Er schmeichelt sich dadurch effektiver.

Bei Musik, die durch Wut Macht erzeugt (L. v. Beethoven, Sleaford Mods), also ein Kraftgefühl erzeugt, weil etwas empörend ist und in dieser Empörung machtvolle Lebendigkeit hervorbringt, ist es wesentlich, das Können zur Wut als eigene Kraftpotenz als Konjunktiv zu verstehen, damit der Weg von Sleaford Mods (Postpunk) überhaupt zu Beethoven zurückgelegt werden kann (und umgekehrt).

Anders ausgedrückt hat der konjunktivische Hörer keine exklusive Bindung an diese oder jene Musik, sondern eine an seine Fähigkeit, aus Musik zur Wut und so zum Krafterleben zu kommen. Er ist also beweglicher als der Hörer, der identisch mit dem Wert ist, den er empfindet.

So gilt: Musik kann dem Menschen zeigen, was er Wert ist und was er Wert sein könnte. Beides ist seiner Wirkung nach erfreulich. Der Konjunktiv des Wertes aber geht tiefer, weil er den Status des Hörers als Konsument hin zum Produzenten überwindet.

Sebastian Knöpker