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Phänomenologische Lebensberatung: Autositzer

Auf meinen Wanderungen treffe ich immer wieder auf ein kleines, grünes Auto, am Rand eines Feldweges geparkt, in dem eine Frau stundenlang sitzt. Es fällt ihr offenkundig nicht ein, einen Spaziergang zu machen. Was macht diese Autositzerin da?

Viele Menschen können nicht einfach in den Raum drauflosgehen. Die Landschaft liegt zwar offen da, doch ist sie nicht für jeden zugänglich. Mein Schwager z.B. schafft es nicht, einfach so aus dem Haus zu gehen. Regt er sich auf, wenn ich ihn beim Grillen als Oberbrandmeister am Feuer verdrängt und abgesägt habe, läuft er erregt aus dem Garten. Er kommt bis zur Garageneinfahrt, wo er auf und ab geht. Weiter geht es nicht, d.h. er kann nicht einfach in den nahen Wald gehen und richtig Dampf ablassen.

Seine innere Geographie reicht nur bis zur Grundstücksgrenze. Was ihm bleibt, ist der schmale Streifen vor der Garage, der als Ort dadurch für ihn ausgezeichnet ist, von uns anderen nicht gesehen werden zu können. In der Kleinheit seiner Lebensbedingungen reicht ihm das schon aus.

Er ist also keine expansive Natur, was auch für einen anderen Typus gilt: für den Verdrossenen. Wer vom Leben enttäuscht ist, will aufgrund seiner schlechten Erfahrungen nichts Schönes mehr erleben. Weil das Schicksal ihn enttäuschte (Ehe kaputt, Haus verloren, kein Geld), interessiert er sich prinzipiell nicht mehr für das Lustvolle. Für den Verdrossenen kommt es nicht in Frage, in die Landschaft zu gehen, weil ihn das grundsätzlich nicht mehr interessiert, da er ja ein Enttäuschter ist.

Die Lebensenttäuschung wird zu einer ihn verpflichtenden Norm, sich ja nicht zu erfreuen und zu erfrischen, weil er ein Gestrafter ist. Solche Menschen wollen nicht bequem sitzen, wollen keine leckeren Kekse essen oder einen Ausflug machen. Sie sind einseitig darauf verpflichtet, ihr verpfuschtes Leben zu leben.

Die Frau im Auto, die abwartet und den Tag ohne Gang in den freien Raum verbringt, könnte einem dieser Typen entsprechen. Sie folgt einer Miniatur der Selbstverkleinerung und lebt den Idealismus des Kleinmuts.

Sebastian Knöpker