Menü Schließen

Phänomenologie des Lesens: Reinigung

Wie soll man am Abend bloß die Tagesreste loswerden? Die Gedanken bewegen sich zwar durchs leere Hirn, aber da ist noch was, die Leere besteht aus lauter Schwund von dem, was man den Tag über so gemacht hat. Wie wird man die abgelebten Reste los?

Abends nach Hause kommen, den Kopf mit lauter Kram noch vollhaben und erst mal das Auto waschen – dann ist auch der Kopf wieder frei. Das ist eine Form der Reinigung, der man es von außen nicht ansieht, was im Strom des Bewusstseins stattfindet. Die Liturgie der Felgenreinigung führt also auch zur Säuberung des Kopfes, indem die Reinigung der Dinge dann auch von den Resten des Tages befreit.

Ähnlich ist es beim Lesen, das den Sinn haben kann, eine Geschichte zu lesen, um dadurch die Vorgeschichte des Tages mit allem Davor und Danach zu vergessen. Der Kicker dient dann nicht als Fußballfachmagazin, sondern als Reinigungsmittel. Man liest ihn, um das, was geblieben ist, nicht gehen will und also unwillkommen ist, zu vergessen.

Üblicherweise liest man, um zu behalten, aber Meldungen über Kickers Emden und Phönix Lübeck haben hier den Zweck, dass sie die Tagesreste fürs Erste löschen. Was aber über Emden und Lübeck gelesen worden ist, soll vollständig und für alle Zeiten vergessen werden. Es ist Lesestoff zur Aufhebung dessen, was den Geist verunreinigt.

Infomüll muss also den vorhanden Müll im Bewusstsein keineswegs weiter anreichern, sondern kann ihn nach und nach schwächen, so dass am Ende nichts mehr bleibt. Das Reinigungsmittel benötigt demnach keine Klarheit seinerseits, um Reinheit zu schaffen.

Karl May – Romane haben damit als staatlich anerkannte Trivialliteratur eine wichtige Funktion der Reinheit geistiger Schöpfung. Dieser Purismus liegt wesentlich in der eingängigen Welt der Westläufer um Old Firehand und Old Wabble, in der das Geschehen weniger wichtig als die Welt selbst ist. Man kann also ohne Anstrengung May Lesen, die Hälfte überlesen, und dennoch verstehen, um was es geht. Das Verstehen aber ist wesentlich für die Reinigung, da dadurch das Vorherige unwirklich und ungültig gemacht wird – es wird entwirklicht.

Sebastian Knöpker