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Phänomenologie der Professionalität

Adolf Eichmann gibt das Urmuster für die professionelle Berufsauffassung ab: der industrielle Massenmord war ihm eine logistische Herausforderung, deren Idealität jede Realität aufhob. Anders ausgedrückt: für den Profi Eichmann war das Erfüllen der beruflichen Aufgabe wirklicher als die je konkreten Handlungen.

Eine Aufgabe zu erfüllen heißt, sich auf ein Ziel zuzubewegen. Das Ziel ist dabei ideal, während die einzelnen Handlungen, die zum Ziel führen, real erlebt werden. Dennoch ist es oft so, dass die Wirklichkeit des einzelnen Augenblicks von der Idealität des Ziels her gelebt und empfunden wird.

Einfachstes Beispiel dafür ist das Warten: das Nichtvorankommen ist ein konkreter Eindruck, dabei aber von der Idee her geleitet, dass der Handwerker nun endlich kommen soll. Das Ziel (Handwerker kommt und macht seine Sache) bestimmt in seiner Negation (geht nicht voran) beim Warten fast vollständig die Wirklichkeit des Erlebens. Wer wartet, erlebt konkret, wie es nicht weitergeht. Das Konkrete der Situation wird dabei in ein widerständiges Kontinuum umgewandelt: alles wird als unbestimmter Widerstand erlebt, nicht aber von seinen konkreten Eigenschaften her.

Dasselbe gilt für den Heiratsschwindler: küsst er sein Opfer, hört er ihm aufmerksam zu, lobt und verwöhnt, wird er bei all dem von der Erfüllung seines Ziels getragen. Er küsst zwar de facto einen Menschen, aber vom Erleben her spürt er vor allem, wie er seinem Ziel näher kommt. Was er konkret macht, das macht er abstrakt, was wiederum von ihm als konkret erfahren wird.

Der echte Jäger der Mitgift wird also immer zwei Wirklichkeiten in seinem Tun erleben: das Konkrete (Händchenhalten, zusammen kochen etc.) und das Näherkommen des Ziels (10.000 € als erste Rate). Beides zusammen ergibt seine Lebenswirklichkeit als Ineinander des Konkreten und des Abstrakten.

Was macht den Profi also aus? Es lebt sein Ziel, indem er eine abstrakte Setzung als konkrete Verwirklichung empfindet. Dem Ziel Näherzukommen ist dabei nicht ein undifferenziertes Empfinden, sondern ist wie beim konkreten Tun ebenfalls gegliedert und strukturiert. Das Telos (Ziel) ist in verschiedene Phasen und Teilziele bestimmt, deren Verwirklichung je spezifisch empfunden wird.

Phänomenologisch ausgedrückt: die gelebte Teleologie ist wie eine Handlung aufzufassen. Das bewegte Telos ist aber nicht mit der je bestimmten Handlung gleichzusetzen, da es ein Unterschied ist, dem Selbstzweck nach etwas zu machen oder darin die Verwirklichung des übergeordneten Ziels zu erleben. Das zeigt sich, wird dieselbe Handlung mit unterschiedlichen Teloi verfolgt: ihr Erleben wird grundverschieden sein. Deshalb wird auch von einer Ideologie der Sachlichkeit geredet: der Profi verfolgt die Sache, wird dabei aber entschieden unsachlich, und zwar zugleich idealistisch und ideologisch.

Sebastian Knöpker