Menü Schließen

Seelische Infrastruktur

Das Seelische lässt sich mit dem Technischen kombinieren und heraus kommt die seelische Infrastruktur. Ein typisches Produkt der seelischen Infrastruktur ist Queen Elizabeth II. gewesen: sie war nicht nur Mensch und Charakter, sondern auch eine künstliche Person, vorgeformt aus royalen Formaten.

Für die Queen gab es keine Trennung von Amt, Beruf und Menschsein. So war für sie Interesse gleichbedeutend damit, Interesse zu repräsentieren. Sie kam nicht auf die Idee, dass man sich wirklich für etwas interessieren kann. Allan Bennett hat daraus seine Romansatire „The uncommon reader“ gemacht. Er beschreibt die real-fiktive Queen, wie diese entdeckt, Bücher aus eigenem Interesse zu lesen. Vor dieser Entdeckung meinte sie, das Lesen sei nur Teil ihrer sozialen Funktion.

Es handelte sich dabei nicht gleich um einen charakterlichen Schaden, sondern um einen Mangel an seelischer Infrastruktur. Ein Mensch braucht die Fähigkeit, sich ungebunden und aus freier Neigung für etwas interessieren zu können. Hat er sie nicht in vollem Umfang, ist er weder charakterlich, noch von seiner Intelligenz her beschränkt. Es fehlt ihm an Infrastruktur.

Ebenso war die Urteilsfähigkeit der Königin von England infrastrukturell reduziert, etwa im politischen Bereich, wo eine Urteilsenthaltung Teil ihres Berufs namens Queen gewesen ist. Weil sie nie Feierabend hatte, war diese Urteilsschwäche stets ein Teil von ihr. Das erinnert an viele Menschen des Durchschnitts, die sich politisch wie privat in der Urteilsvermeidung hervortun: was sie im Büro gelernt haben, um keinen äußeren, aber auch keinen inneren Widerstand zu erzeugen, leben sie auch außerhalb der Bürozeiten.

Auch die Wahrnehmung der Menschen als Individuen war bei der Queen eingeschränkt: ein Kammerdiener ist für sie trotz Eigenname immer ein Diener gewesen, d.h. im Falle seines Austausches hat sich für sie nichts geändert, weil sie die neue wie die alte Person vollständig von ihrer Funktion her wahrnahm. Diese typisierte Wahrnehmung, das Einzelwesen zugunsten seines Genres aufzufassen, findet sich ebenfalls bei vielen Menschen des normalen Lebens.

„Seelische Infrastruktur“ ist damit ein Begriff, der kritisch Mängel im Menschsein bezeichnet. Indem das Fehlende aufgezeigt wird, lässt sich bestimmen, was man zum Menschsein braucht, das weder ein Wert oder eine Haltung in vollem Umfang ist, noch sich in einem psychologisch-funktionalen Sinne bezeichnen lassen würde. Das ist wesentlich für die vielen Menschen, die ihre Persönlichkeit stärken wollen, dabei aber vergessen, dass ihre Infrastruktur zunächst einmal verbessert werden sollte.

Sebastian Knöpker