Menü Schließen

Phänomenologie des Geschlechterwechsels

Der fluide Geschlechterwechsel ist so attraktiv wie der Ausflug des feldgrauen Normalmenschen in die Kriminalität. Als Krimineller kann er sich als anderer Mensch fühlen und eine Inkarnation seiner Vorstellungen eines Verbrechers werden. Der Mehrwert der Verkörperung, ein Anderer zu sein bringt so Lust, Lebendigkeit und Halt ins Leben.

Der Übergang von Mann zu Frau zu androgyn macht das Geschlecht fühlbar. Ein geschicktes Make up, ein einziger, richtig angebrachter Strich mit dem Kajalstift, und schon ist der Mann zum androgynen Wesen geworden. Mode, Schminke und Frisur können Geschlechterwechsel als Ausdruck einer Verkörperung von Männlichkeit, Weiblichkeit oder Androgynität inkarnieren.

Anders ausgedrückt: eine verwunderte und nackte Form versucht einen Inhalt in sich aufzunehmen und merkt dabei, dass sie im Wechsel der Inhalte auch zu etwas kommen kann: zu fruchtbaren Verkörperungen. Auch der Mensch ohne Relief, der einen Ausflug ins kriminelle Fach macht, wählt sich so einen belebenden Wechsel seiner Selbigkeit. Das Konzept der Kriminalität wird dafür genutzt, einen leiblich spürbaren Ausdruck als Identitätswechsel hervorzubringen.

Die Idee der nonbinären Geschlechteridentität ist dabei darauf angewiesen, dass es festgelegte Identitäten gibt, die verneint werden. Durch die Verneinung entsteht eine negative Bestimmung: ich bin dauerhaft weder männlich noch weiblich, auch nicht androgyn – nichts von alldem, da ich mich nicht festlege. Der Ausgang aus dieser Negation besteht darin, dass das Unbestimmte, das sich aus der Verneinung des Bestimmten ableitet doch zum Ausdruck kommen kann.

Denn das nicht Festgelegte, von dem niemand je wissen soll, kann doch verkörpert werden. Der Ausdruck von x setzt nicht voraus, das Wesen von x als Invariante zum Ausdruck zu bringen. Auch das kann sein Wesen fühlen lassen, was keins hat.

Die Mode zeigt es. Und der normale Mensch, der polizeilichen Unfug anstellt, zeigt es auch, da er keineswegs der Ausdruck des Wesens der Kriminalität ist, sondern seinen Leib nur dafür nutzt, eine unklare Idee von kriminellem Ruhm in sich sinnlich zu verkörpern.

Der Ausdruck des negativ Bestimmten bei nonbinären Geschlechterrollen kann dabei erstaunlich weit kommen. Verliebt sich ein uneindeutig geschlechtlich bestimmter Mensch und wird seine Liebe erwidert, so kann er sich in dieser Liebe als in seinem nonbinären Wesen zum Ausdruck gebracht fühlen. Die Liebe hat nämlich die Eigenart, dass in ihr auch das zum Ausdruck gebracht werden kann, das keinen Ausdruck haben kann, weil es keinen Inhalt aufweist. Solange die Liebe währt, kann sich also auch das armseligste Konzept, das sich nur durch Verneinung als vage Skizze zeigt, zu einer respektablen phänomenalen Substanz gelangen.

Die an sich notwendig eigenschaftsarme Idee der fluiden Geschlechteridentität kann somit durch die Kraft der Liebe auch das zum Ausdruck zu bringen, was ohne Bestimmung ist. Allerdings sind Liebe wie Mode eben auch selbst flüchtige Kräfte, so dass der Aufenthalt in der geborgten Identität nur kurz dauern kann. Das Spiel mit dem Geschlecht gibt also einige kleine Stöße von Zuneigung, doch nicht mehr.

Sebastian Knöpker