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Phänomenologie vor Ort: das fränkische Wirtshaus

Der Abstand zwischen Kopf und Bauch ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, das Hohe vom Niedrigen zu trennen. Die Franken nehmen das nicht so ernst und führen sich im Überfluss ernährende Teilchen zu, im fränkischen Wirtshaus, wo Schäufele und Presssack nicht nur eine eigene Küche bilden, sondern auch eine eigene Art zu essen.

Im fränkischen Gasthaus wimmelt es nicht von Techniken, Richtungen, Lösungen und Plattformen zur Optimierung des Lebens. Hier wird einfach gegessen und das auch noch gut. Das Resultat ist eine schöne Gegenwart, in der jeder Gast in eine freundliche Strömung gerät.

Gegen die fränkische Küche wird oft eingewendet, sie sei zu sehr aufs Schwein ausgerichtet, zu deftig und kräftig. Tatsächlich, es wird oft so viel gegessen, dass man sich nach dem Mahl so unter Druck fühlt, als wäre man ein komplizierter Betrieb. Die Verdauung steht den Gästen dann unübersehbar ins Gesicht geschrieben.

Das Große und Gute an der fränkischen Küche ist es aber, dass hier die Bratwurst nicht bloß gerade noch so gut schmeckt, sondern sich am geschmacklichen Maximum bewegt. Offenkundig gibt es dabei viele Maxima, da von Ort zu Ort die Bratwurst anders schmeckt, doch meist abgerundet und herzhaft gut. Sagen wir es so: die oberfränkischen Bratwürste werden nicht lieblos aus Abfällen der Konsumgüterindustrie hergestellt.

Außerdem gibt es in den Wirtshäusern Nebenzimmer, in denen sich das Tapetendickicht der letzten zwei Jahrhunderte angstvoll in der Finsternis sträubt. Schicht für Schicht wurde hier übereinander geklebt, überstrichen und sorgt so für kleinbürgerliche Geschichte, die direkt sinnlich zu spüren ist. Das gilt auch für die oft ausgetretenen Treppenstufen zum Gasthaus, auf denen seit Jahrhunderten die Suffköpfe und Starkstromalkoholiker mit glasigem Blick und aufgedunsenem Gesicht so geduldig wie sonst nur das Wasser das Gestein abgetragen haben.

Das ist also fraglos authentisch. Alles, was aus Franken kommt, ist altfränkisch, so die generelle Regel. Doch ausgerechnet beim Landbier wurde diese Orthodoxie aufgegeben, das merkwürdig verformelt schmeckt. Lindenbräu (Gräfenberg) hat es nach dreihundert Versuchen mit ständigen Verbesserungen geschafft, dass das Pils leicht nach Katzenpisse schmeckt. Dasselbe gilt für Elch-Bräu (Thuisbrunn), wo ebenfalls zu viel an Hopfen eingesetzt wird.

Insgesamt hat sich das fränkische Wirtshaus aber bewahrt. Nicht nur die Küche, die Wirtsleute, sondern auch die Gäste. Diese sind offenkundig Erben: sie sind schon mit ihren Eltern und Großeltern in den Gasthof gegangen und haben nicht nur deren Häuser geerbt, sondern auch das Selbstverständnis, ins fränkische Gasthaus zu gehen.

Sebastian Knöpker