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Schwebend über dem Gefühl

Die Freundlichkeit unterdrückter Wut schwebt nicht über dem Ärger. Beides vermischt sich ganz unsouverän miteinander. Dagegen ermöglicht gusseiserne Höflichkeit gegenüber einem unfreundlichen Mitmenschen das schöne Schweben über der Antipathie.

Ein echter Heiratsschwindler tut nicht bloß so, als ob er verliebt wäre, er ist es. Nur fügt er dieser Liebe noch das Gefühl großer Nüchternheit hinzu. Diese Gefühllosigkeit kann über der Liebe schweben und so das eine Gefühl über das andere erheben.

Dasselbe findet sich in der Höflichkeit, die ausgesucht freundlich und zuvorkommend ist, den höflichen Menschen aber nur soweit angeht, als dass sie der Unterbau einer eisigen Kälte ist. Die Freundlichkeit wird also gebraucht, um sich über den Unhold erhaben zu fühlen. So ist es auch ein Glück, dass es solch unsympathische Menschen gibt, da sie die Möglichkeit eröffnen, nicht nur dem Anderen, sondern auch in Bezug auf sich selbst überlegen zu sein.

Ein Hund hingegen, über den Herrchen lacht, fühlt sich gedemütigt. Er schafft es nicht, über das Ausgelachtwerden noch etwas an Gefühl zu errichten, das ihn aus der delikaten Situation rettet. Er will einfach nur, dass das Lachen aufhört und kommt nicht auf die Idee, der Demütigung noch ein Gefühl hinzuzufügen.

Die Katze wiederum besitzt Humor, aber ist so erhaben über das Ausgelachtwerden, dass sie jederzeit souverän darauf nicht reagiert. Da sie keinen ersten Impuls (Demut) empfindet, muss sie auch kein Gefühl darüber in sich hervorbringen. Anders als beim Hund fehlt ihr das Störende, was durch eine Hinzufügung in die Höhe gehoben werden könnte.

Schwebend über dem Gefühl zu empfinden ist in der erzählenden Literatur eine entscheidende Qualität, denkt man etwa an Raymond Chandlers Kriminalromane, die rohe Gewalt durch einen hohen Himmel der Empfindungslosigkeit wieder geraderücken. Man liest Chandlers Romane deswegen gerne, da sie eine besondere Art der Erhabenheit hervorbringen. Dasselbe gilt für Ernst Jünger (In Stahlgewittern) oder William S. Burroughs (Junky). Auch hier schwebt der Leser über das Abstruse und Schreckliche.

Sebastian Knöpker