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Phänomenologische Lebensberatung: Blumenerde

Frage an den Phänomenologen: Aus nichtigen Anlässen heraus ignoriert mein Freund mich oft – zum Beispiel kauft er sich Blumenerde und setzt dann Blumenzwiebeln, um mich stundenlang zu übersehen. Es ist, als wäre ich gar nicht da. Was steckt dahinter?

Sie haben also den Eindruck, ihr Freund meint, er würde in gigantisch richtungsweisendem Maßstab handeln, wenn er mit Blumenerde arbeitet und halten das für merkwürdig aufgeblasen?

Wahrscheinlich liegt es an der Umkehrung von Nähe zu Ferne: zunächst sucht man einen Menschen, um nicht mehr alleine zu sein. Hat man jemanden gefunden, drückt die Nähe aber dann doch und man sucht nach Distanz in ihr. So kommt es dazu, sich Beschäftigungen zu suchen, die den Vorteil haben, den Anderen während der Besorgung um die jeweilige Sache nicht mehr wahrnehmen zu müssen.

Sehen Sie das Gute dabei: in der Zeit, in der er sie königlich ignoriert, lädt sich seine Bereitschaft wieder auf, sie bald wieder wahrzunehmen. Sein Leben in der Blumenerde-Blase hat also eine erneuernde Kraft und dient nicht nur der Begrünung des Gartens. Wer weiß: vielleicht nimmt er sie dann auch mal wieder vollständig wahr? Das Problem mit dem dauerhaften Zusammensein ist es ja, dass vollwertige Wahrnehmung gerade ausgeschlossen wird.

Das liegt aber nicht exklusiv an ihrem derzeitigen Freund exklusiv, sondern gilt für alle Formen des alltäglich-besorgenden Umgangs miteinander. Die Bereitschaft, den anderen zu sehen, verlagert sich mehr und mehr in ein Hindurchsehen im Hinsehen. Das ist ein normaler Abfall von der Wahrnehmung des Mitmenschen, eine Verschleißerscheinung.

Sorgen muss man sich dabei erst dann machen, wenn sie nach Hause kommen und der Partner hastig damit anfängt, die Terrassentür zu reparieren. Oder er schaltet seine Lieblingssendung im TV ein, gerade in dem Moment, wo man mal einige Minuten füreinander hätte. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, nicht Nein zum Anderen zu sagen, sondern dieses Nein theatermäßig zu inszenieren und konkret vor jeder Sprache zu leben.

Sebastian Knöpker