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Prädikation in der Phänomenologie

Prädikation meint die Zuschreibung einer Eigenschaft zu einem Begriff oder Gegenstand. Die Prädikation in Wahrnehmungsurteilen lässt sich gut beim Nudelkochen beobachten: Kochen die Nudeln zu lange, schmecken sie nach Wasser, während das Wasser nach Nudeln schmeckt. Das logische Subjekt namens Wasser wurde zu einem Prädikat der Nudel und umgekehrt.

Fetakäse aus Kuhmilch hat oft eine deutlich ausgeprägte Kuhstallnote. Formal gesprochen besitzt das logische Subjekt namens Käse die Eigenschaft, vom Kuhstallgeruch durchstimmt zu sein.

Gibt man den Käse in eine Joghurtknoblauchsauce wird es interessant: der Käse wird zum Prädikat der Knoblauchsauce, aber seine Eigenschaft der Kuhstallnote bleibt ein Prädikat des Käses. Man schmeckt die Kuhstallnote deutlich heraus, aber in der Eigenständigkeit, dass der Käse danach schmeckt, der es an die Sauce weitervererbt.

Es gibt also eine wohlschmeckende Hierarchie, in der die Sauce nach Käse schmeckt und diese nach Kuhstall. Wäre es hingegen so, dass die Sauce nach Kuhstall schmecken würde, so hätte man ein allgemeines Saucenproblem: alles schmeckt irgendwie nach allem und schmeckt daher überhaupt nicht mehr.

Gutes und schlechtes Essen hat also mit kunstvoll verschachtelter Prädikation zu tun. Bei den überkochten Nudeln wird die eine Zutat zum Prädikat der anderen Zutat, so dass der Nudelpapp ungenießbar wird.

Anders beim Neuen Wein, dessen wilder Aromenhorizont viele ungebundene Prädikate enthält, Anklänge an Apfel, Weintraube, Pfirsich etc. Anders als ein Apfel, der als Apfel die Eigenschaften süß, sauer etc. hat, ist im Neuen Wein der Apfelanklang nur ein Prädikat und kann im Schmeckerlebnis andere Prädikate für sich einfangen, d.h. vom Prädikat kurzzeitig zum Subjekt eines Quasi-Apfels werden.

Die Fruchtsäuren, die eher nach Pfirsich schmecken, können dann dem Apfel zugeschlagen werden und kurzzeitig schmeckt es auch nach Apfel. Gleich darauf kann sich aber das Prädikat des Pfirsichartigen vom Quasi-Apfel befreien und seinerseits ein logisches Subjekt werden, dass freie Prädikate einfängt und auf sich vereint. Dieses Wechselspiel macht den Neuen Wein wesentlich aus.

Die Prädikation beim Schmecken lässt sich in der Regel nicht logisch formalisieren, weil die Einstelligkeit/Mehrstelligkeit von Prädikaten und der Bezug von Subjekten mit Eigenschaften auf andere logische Substrate, die auch welche haben, sowohl zu komplex als auch zu wandlungsfähig ist.

Doch wer sich für formale Logik interessiert, kann durch das Probieren von Marmeladen, Saucen allgemein und Suppen eine einfache, sinnliche Einführung in die Prädikation der Wahrnehmungsurteile gewinnen. Damit einher geht auch die Verfeinerung des Geschmacks und natürlich die souveräne Ablehnung überkochter Suppen und überfusionierter Saucen.

Sebastian Knöpker